elfenbeinturm.net
fundiert
Sonne
Inszenierung
Leben
Impressum
Archiv
Operation im Zyklotron

Einmalig in Deutschland: Protonenstrahlen-Therapie rettet Augenlicht

Manfred Ronzheimer

Ältere Menschen erkranken häufig an malignen Augenkarzinomen. Bislang konnte diese Krebsart nur schlecht behandelt werden, da eine Chemotherapie am Auge nicht möglich ist. Seit 1998 setzt das Team um Prof. Dr. Foerster vom Universitätsklinikum Benjamin Franklin in Kooperation mit dem Hahn-Meitner-Institut die so genannte Protonentherapie ein. Einmalig in Deutschland erlaubt die Protonentherapie eine maßgeschneiderte Teilchentherapie und führt in über neunzig Prozent der Fälle zu einer Besserung des Augenleidens.

Zur Augenoperation ins Kernforschungszentrum? In Berlin ist das möglich. „Die Zusammenarbeit mit den Physikern des Hahn-Meitner-Instituts ist ein reines Vergnügen“, so Prof. Dr. Michael H. Foerster. Bei der Behandlung von Augentumoren kooperiert das Universitätsklinikum Benjamin Franklin (UKBF) der Freien Universität mit dem Hahn-Meitner-Institut (HMI) bei der Behandlung von Augentumoren. Mit Protonenstrahlen, die aus einem Teilchenbeschleuniger der physikalischen Forschung gewonnen werden, behandeln die Ärzte der UKBF-Augenklinik unter Leitung von Prof. Foerster Patienten aus ganz Deutschland und dem Ausland. „Von den rund 300 Patienten, die seit 1998 von uns in Berlin behandelt wurden, hatten etwa zwei Drittel das Aderhautmelanom“, erzählt Foerster.
Die neue Behandlungsmethode mit Protonenstrahlen ist in Deutschland einzigartig. „Das maligne Melanom der Aderhaut ist der häufigste bösartige Tumor im Auge. In Deutschland werden jährlich rund 600 Neuerkrankungen diagnostiziert“, so Foerster. In enger Zusammenarbeit mit den Physikern der Beschleunigeranlage des HMI unter Leitung von Dr. Heinrich Homeyer wurde die Technik im Juni 1998 erstmals bei einem 44-jährigen Brandenburger eingesetzt.
Davor stand deutschen Patienten diese Therapie nur im Ausland zur Verfügung. Weltweit gibt es rund 15 Zentren für Protonentherapie: in Frankreich, der Schweiz, Großbritannien und Russland sowie in Japan, den USA und Südafrika. „In den Jahren 1992 bis 1998 wurden von unserer Klinik rund 150 Patienten in Nizza behandelt. Das war ein sehr aufwendiges Verfahren, auch weil ein Arzt jedes Mal mitfliegen musste“, so Foerster.


Für die Bestrahlung wird der Patient auf dem Behandlungsstuhl fixiert. Dabei werden dem Patienten erstmals „Lidhalter“ eingesetzt, die ein Blinzeln während der Bestrahlung verhindern und die Augenlider aus dem Protonenstrahl heraushalten. (Foto: Klaus Mihatsch)

Die Strahlentherapie nimmt einen hohen Stellenwert bei der Behandlung von Krebserkrankungen ein, da rund zwei Drittel aller Krebspatienten im Verlauf ihrer Krankheit mit Strahlung behandelt werden. Bislang setzen Mediziner vor allem Gammastrahlen und Elektronenstrahlen ein, doch gewinnt die Behandlung mit Protonenstrahlen weltweit an Bedeutung.
Protonen sind positiv geladene Kerne des Wasserstoffatoms. Die Protonentherapie bietet besondere Vorteile bei Tumoren in der Nähe von empfindlichem, gesundem Gewebe, da sie eine hohe Präzision gewährleistet. Dies ist für Augentumore von großer Bedeutung, da der Tumor und das empfindliche Gewebe, wie der Sehnerv und die Linse, dicht nebeneinander liegen. Hier stellt die Protonentherapie eine wesentliche, in der Regel Auge und Sehvermögen erhaltende Therapieform dar, zumal eine medikamentöse Behandlung (Chemotherapie) bei Augentumoren nicht möglich ist. Zur Bestrahlung von Tumoren im Augeninneren benötigt man Protonen mit der relativ hohen Energie von rund 70 Millionen Elektronenvolt (MeV). Solche maßgeschneiderten Teilchenstrahlen lassen sich nur mit großem apparativen Aufwand herstellen.
Das Zyklotron am Hahn-Meitner-Institut wurde in den vergangenen Jahren auf die maximale Energie von 72 Millionen Elektronenvolt (MeV) aufgerüstet und liefert seitdem zuverlässig einen stabilen Protonenstrahl. Die Investitionskosten von rund 2,5 Millionen Mark für Änderungen an der Beschleunigeranlage, wie Kontrollinstrumente und Sicherheitseinrichtungen, für den Aufbau medizinischer Geräte sowie für einen Anbau für Kontrollraum und Warteraum für die Patienten wurden aus Mitteln des Hochschulbauförderprogrammes aufgebracht, die zu fünfzig Prozent aus dem Landeshaushalt finanziert werden. Die Betriebskosten für den medizinischen Beschleunigerbetrieb und die direkten Personalkosten des Hahn-Meitner-Instituts trägt das Universitätsklinikum entsprechend einer Vereinbarung mit den Krankenkassen. „Im Unterschied zu früher bezahlen die Krankenkassen die Behandlung heute allerdings nicht mehr“, ärgert sich Foerster.


Jährlich werden etwa 500 bis 600 Neuerkrankungen durch bösartige Melanome auf der Adernhaut im Augapfel registriert (Foto: unicom)

Bei den Erkrankungen handelt es sich um Tumore, die intraokular, also im Augeninnern, wachsen. Am häufigsten sind dabei bösartige Melanome, die im Augapfel auf der Adernhaut entstehen. Von solchen „intraokularen Melanomen“ werden in Deutschland jährlich etwa 500 bis 600 Neuerkrankungen registriert. Meist sind Menschen im sechsten Lebensjahrzehnt betroffen. Bei etwa einem Drittel der Fälle kann die Protonentherapie entscheidend helfen. Am besten sind die Resultate bei Tumoren mit einem Durchmesser bis zu 15 Millimetern, die mehr als drei Millimeter vom Sehnerv oder der Stelle des schärfsten Sehens entfernt sind. „Um Nebenwirkungen nach der Protonenbestrahlung zu minimieren, haben wir in unserer Augenklinik ein neues Verfahren entwickelt, mit dem die Tumore anschließend schonend entfernt werden können. Die ersten Erfahrungen mit dieser Endoresektion sind viel versprechend“, so Foerster.
Wegen der Präzision des Protonenstrahls ist die exakte Positionierung des Patienten von entscheidender Bedeutung. Nach der Diagnose eines Augentumors müssen zunächst dessen Position und Ausdehnung vermessen werden. Dazu werden vom Augenarzt mehrere Markierungsplättchen aus Tantal auf die Lederhaut des erkrankten Auges genäht. Der Arzt legt dann die Form und räumliche Lage des Tumors relativ zu den Tantalplättchen fest. Die Plättchen verursachen in der Regel keinerlei Beschwerden und werden auch nach der Bestrahlung nicht entfernt.
Ein bis zwei Wochen nach dieser ersten Operation beginnt die Behandlung im Hahn-Meitner-Institut. In einer ersten Sitzung ohne Protonenbestrahlung werden auf dem Behandlungsstuhl eine Gesichtsmaske und ein Gebissabdruck angefertigt. Die Maske und der „Beissblock“ dienen der Fixierung des Patienten auf dem Behandlungsstuhl, der mit einer Genauigkeit von einem Zehntel Millimeter entlang der drei Raumachsen und um zwei Rotationsachsen positioniert werden kann. Danach wird der Patient in die spätere Behandlungsposition gebracht. Um die Blickrichtung des immer noch beweglichen Auges festzulegen, werden mehrere Röntgenaufnahmen mit verschiedenen Blickrichtungen angefertigt, auf den die Markierungsclips sichtbar werden. Mit ihnen lassen sich Position und Orientierung des Auges exakt vermessen und später mit der Sollposition aus der Bestrahlungsplanung vergleichen. Damit wird die Blickrichtung des Patienten überprüft.


Aus den Positionen der Tantalclips auf den Röntgenaufnahmen in Verbindung mit weiteren diagnostischen Daten wie Ultraschallaufnahmen, CT- und MRI-Schnitten sowie den Daten des Augenarztes wird ein Computermodell des erkrankten Auges errechnet (Foto: Klaus Mihatsch)

Danach beginnt die Arbeit der Physiker am HMI. Aus den Positionen der Tantalclips auf den Röntgenaufnahmen in Verbindung mit weiteren diagnostischen Daten wie Ultraschallaufnahmen, CT- und MRI-Schnitten sowie den Daten des Augenarztes wird ein Computermodell des erkrankten Auges errechnet. Das Modell rekonstruiert die Lage des Tumors und berechnet den optimalen Fixierungswinkel für die Bestrahlung. Bevor in der Werkstatt die Messingblenden für die Bestrahlungen hergestellt werden können, wird in einer zweiten Sitzung mit dem Patienten einige Tage nach dem ersten Termin kontrolliert, ob der Bestrahlungsplan auch praktisch umsetzbar ist. Dazu wird der Patient auf dem Behandlungsstuhl fixiert und wie für die Bestrahlung positioniert. Dabei werden dem Patienten auch erstmals „Lidhalter“ eingesetzt, die ein Blinzeln während der Bestrahlung verhindern und die Augenlider aus dem Protonenstrahl heraushalten. „Der Behandlungsstuhl wird digital gesteuert und kann bis auf 0,1 Millimeter exakt ausgerichtet werden“, erzählt der Physiker Dr. Heinz Kluge, der am Hahn-Meitner-Institut für die Protonentherapie zuständig ist.
In der folgenden Woche erscheint der Patient täglich zur Bestrahlung im Behandlungsraum des Zyklotrons. Der Patient nimmt auf dem Behandlungsstuhl Platz und seine Haltung wird mit der Sollposition verglichen. Ein vergrößertes Fernsehbild der Pupille des zu bestrahlenden Auges wird auf das Kontrollpult übertragen und die Sollposition des Auges auf dem Bildschirm markiert, um bei einer möglichen Bewegung des Auges den Strahl sofort zu unterbrechen.

Das Strahlrohr, aus dem der Protonenstrahl austritt, ist der letzte Strang der Strecke, die der Teilchenstrahl bei seiner Beschleunigung durchläuft. Mit dem Behandlungsstuhl wird der Patient dicht vor die Austrittsöffnung des Strahlrohres gefahren. Die eigentliche fraktionierte Bestrahlung mit einer Dosis von 15 Gray dauert nur rund 30 Sekunden, während die Vorbereitung zwischen zehn und 20 Minuten beansprucht. „Für den Patienten ist die Behandlung nicht belastend“, erklärt Prof. Foerster. Eine Narkose ist deshalb nicht erforderlich. Zur Behandlung sind in der Regel vier Sitzungen nötig, die innerhalb einer Woche durchgeführt werden.
Aussagen über die Wirksamkeit der Behandlung lagen zu diesem Zeitpunkt nur von ausländischen Einrichtungen vor. Als die Institute mit den größten Erfahrung auf dem Gebiet der Protonentherapie okularer Melanome gelten das Harvard Cyclotron Laboratory (HCL) und das Paul-Scherrer-Institut (PSI). Von beiden Therapieeinrichtungen existieren Studien mit 1006 (HCL) bzw. 777 (PSI) behandelten Patienten. Nach einer durchschnittlichen Beobachtungszeit von mehr als fünf Jahren konnten 94 Prozent (HCL) bzw. 92 Prozent (PSI) der Augen erhalten werden, wobei die Hälfte der Augen ein Sehvermögen von 50 Prozent und besser nach erfolgter Protonentherapie aufwies. Beide Studien ermittelten die Fünf-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeit bei der Protonenbehandlung mit 85 Prozent, während eine lokale Kontrolle des Tumors in 96 Prozent der Fälle erreicht wurde.
„Unsere ersten eigenen Analysen bestätigen die bekannten guten Therapieresultate. So liegt die Wahrscheinlichkeit, den Tumor im Auge zu vernichten, bei 94 Prozent“, erzählt Dr. Martin Nausner von der Klinik für Radioonkologie und Strahlentherapie am UKBF. „Im Rahmen eines Projekts mit dem Deutschen Krebsforschungszentrum in Heidelberg wird an einer weiteren Verbesserung der Präzision des Bestrahlungsverfahrens gearbeitet, um bei noch mehr Patienten neben den bereits exzellenten Tumorkontrollen auch eine gute Augenfunktion zu erreichen“, resümiert Nausner.

Seitenanfang

Vom Licht der Herrlichkeit
Zur Lichtmetaphorik in der jüdisch-christlichen Überlieferung

Licht ins Dunkle bringen
Lichttherapie bei saisonalabhänigen Depressionen

Licht und Photosynthese
Von den Purpurbakterien zu den grünen Pflanzen

Operation im Zyklotron
Einmalig in Deutschland: Protonenstrahlen-Therapie rettet Augenlicht

Erleuchtung in Süd-Manhatten
Lightcut – eine Rauminstallation von Michaela Habelitz im Aedes East Extension Pavillon