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Licht ins Dunkle bringen

Lichttherapie bei saisonalabhänigen Depressionen

Isabella Heuser & Wolfram E. Severus

Wer im Winter gerne Schokolade isst, am Tag schlafen möchte und neben Antriebslosigkeit von Heißhunger-Attacken geplagt wird, der leidet eventuell unter einer saisonalabhängigen Depression (SAD). Diese Art der Depression lässt sich besonders gut mit Licht behandeln. Außerdem gibt es erste Hinweise darauf, dass diese Form der Lichttherapie auch bei prämenstruellen dysphorischen
Störungen helfen könnte.

Der Wechsel zwischen Licht und Dunkelheit scheint die innere Uhr des Menschen zu beeinflussen. Diese sitzt in einem bestimmten Hirnareal, dem Nucleus suprachiasmaticus (NSC). Unsere innere Uhr, die sehr präzise arbeitet, steuert die Ausschüttung eines bestimmten Hormons aus der Zirbeldrüse, des Melatonins. Dieses Hormon reguliert die so genannte circadiane Rhythmik (Schlaf-Wach-Verhalten). Im Normalfall wird das körpereigene Melatonin bald nach Anbruch der Dunkelheit vermehrt ausgeschüttet, erreicht seinen Höhepunkt während der Mitte der Nacht, zwischen zwei und vier Uhr morgens, um dann während der zweiten Nachthälfte allmählich abzufallen. Der Wechsel zwischen Licht und Dunkelheit, wie er über den Tag vonstatten geht und über elektrische Signale von photoreceptiven Einheiten der Netzhaut der Augen dem NSC gemeldet wird, kann den zeitlichen Ablauf, das „timing“, dieses endogenen Rhythmus modifizieren. Des Weiteren können schon kurze Perioden von normal hellem fluoreszierendem Licht (200 bis 400 Lux) die Melatonin-Ausschüttung hemmen. Sowohl körpereigenes Melatonin als auch die Einnahme der Substanz, die man in den USA im Supermarkt kaufen kann, hat schlafanstoßende Wirkung. Dies ist eine der Erklärungen für die Tatsache, dass wir bei Dunkelheit tendenziell leichter Schlaf finden als bei intensivem Licht. Ferner sind Desynchronisationen dieser komplexen Steuerung für die Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus, wie sie bei Schichtarbeitern anzutreffen sind, mitverantwortlich.


Einsamkeit, Giorgio de Chirico (Bild: KHI)

Bei einer Untergruppe depressiv Erkrankter scheint eine Störung dieser inneren Rhythmik im Sinne eines „phase shift“ vorzuliegen. Dabei handelt es sich um Patienten, die ausschließlich im Spätherbst und Winter an Depressionen erkranken. „Phase shift“ bedeutet, dass unter Bedingungen verminderten Morgenlichtes, wie sie im Spätherbst und Winter auftreten, der endogene circadiane Rhythmus – in Beziehung zum Schlafverhalten – phasenverschoben ist, und zwar im Uhrzeigersinn. Das heißt, die Melatonin-Ausschüttung als eine Komponente dieses endogenen Rhythmus hinkt dem Schlafmuster hinterher.
Erstmals beschrieben Anfang der 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts von Rosenthal und Wehr vom „National Institute of Mental Health“ (NIMH) in den USA dieses Phänomen. Das Spannende hierbei ist, dass die depressive Symptomatik der saisonalabhängigen Depression (SAD) durch die therapeutische Zufuhr von „Extra-Licht“ positiv beeinflusst werden kann. Mittlerweile ist bekannt, dass die frühmorgendliche Zufuhr von Extra-Licht eine Phasenvorverlegung der Melatonin-Ausschüttung und somit eine Resynchronisation zwischen dem circadianen endogenen Rhythmus und dem Schlafverhalten bewirkt.
Neben den klassischen depressiven Merkmalen wie niedergedrückter Stimmung, Lust- und Freudlosigkeit gehört zur SAD oftmals auch eine ausgeprägte Energielosigkeit, die Neigung, am Tag zu schlafen, verstärkter Appetit mit Gewichtszunahme und einem Verlangen nach Kohlenhydraten wie z.B. Schokolade.


Der Schrei, Edvard Munch (Bild: KHI)

In der Praxis sieht die Behandlung so aus, dass sich die unter SAD leidenden Personen unmittelbar nach dem Aufwachen für ca. 30 Minuten in einem Abstand von 30–50 cm vor eine Lichtbox mit einer Intensität von ca. 10.000 Lux setzen. Die Besserung des Befindens setzt hierbei in der Regel bereits nach wenigen Tagen ein, ein Nachteil war und ist jedoch der allmorgendliche Zeitaufwand von dreißig Minuten. Eine elegante, ohne Zeitverlust einhergehende und vermutlich genauso wirkungsvolle Alternative scheint sich nun während der vergangenen Monate herauskristallisiert zu haben. „Dawn simulation“, Sonnenaufgangssimulation, heißt das Zauberwort und beinhaltet eine durch eine künstliche Lichtquelle erzeugte, dem normalen Sonnenaufgang zeitlich nachempfundene Zunahme des Raumlichtes über 90 Minuten bis zu einer Endbeleuchtungsstärke von 250 Lux – und dies alles während des Schlafes bis unmittelbar vor dem Aufwachen.
Handelt es sich bei der Lichttherapie mittlerweile um eine anerkannte Methode zur Behandlung depressiver Erkrankungen? In den Leitlinien der „Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Nervenheilkunde (DGPPN)“ ist die Lichttherapie als anerkannte Therapiemöglichkeit für saisonale Depressionen aufgelistet. Auch am Universitätsklinikum Benjamin Franklin (UKBF) der Freien Universität wird die Lichttherapie regelmäßig und mit gutem Erfolg in der klinischen Praxis eingesetzt. Ein Nachteil – insbesondere in der ambulanten Therapie – ist die Tatsache, dass die Lichttherapie in Deutschland nicht zum Leistungsumfang der gesetzlichen Krankenkassen gehört und letztere daher nicht verpflichtet sind, die bei dieser Therapie entstehenden Kosten zu übernehmen. Sollte sich diese Therapiemethode jedoch bei Patienten mit saisonalabhängiger Depression während eines stationären Aufenthaltes bewährt haben, so empfiehlt es sich trotzdem, einen entsprechenden, vom behandelnden Arzt begründeten Antrag auf Kostenübernahme bzw. -beteiligung an dieser Therapieform bei der zuständigen Krankenkasse zu stellen.
Interessant ist übrigens, dass Lichttherapie nicht ausschließlich bei SAD zu helfen scheint. Erste Daten einer kontrollierten Studie weisen darauf hin, dass auch die prämenstruelle dysphorische Störung auf eine allabendliche Lichttherapie, durchgeführt während des zweiwöchigen lutealen Zyklus, anzusprechen scheint. Ob auch die morgendliche Lichttherapie hier hilfreich sein könnte, ist zur Zeit noch unklar. Patienten mit einer prämenstruellen dysphorischen Störung scheinen zudem in signifikant höherem Maße an saisonalen Depressionen zu leiden als Nichtbetroffene. Umgekehrt gilt auch, dass Frauen mit einer SAD in signifikant höherem Maße an einer prämenstruellen dysphorischen Störung leiden als andere.


Rückenakt, Picasso (Bild: KHI)

Eine weitere Indikation für Licht wird zur Zeit besonders intensiv in den Niederlanden erforscht. Dort haben erste, viel versprechende Studien zeigen können, dass bei verwirrten alten Menschen, bzw. bei Patienten mit der Alzheimer-Demenz, die Beleuchtung mit hellem Licht die endogenen Rhythmen resynchronisieren kann und diese Patienten dann wieder zu einem „gestalteten“ Wechsel zwischen Schlafen und Wachen in der Lage sind.
Ist die Therapie mit Licht frei von Nebenwirkungen? Insgesamt gilt – und dies haben auch Studien am UKBF Anfang der 90er Jahre gezeigt – dass Lichttherapie mit ausgesprochen wenig Nebenwirkungen behaftet ist. In ganz wenigen Einzelfällen wurde ein „Umschlagen“ in eine so genannte Hypomanie beobachtet: Diese wenigen Patienten fühlten sich dann besonders gut, waren redseliger, „umtriebiger“ , insgesamt wie in einem „Hoch“. Bei allen Patienten, bei denen dies beobachtet wurde, kam es aber durch das einfache Absetzen der morgendlichen Lichtzufuhr zu einem „Einpendeln“ in die normale Befindlichkeit. Andere Nebenwirkungen wurden nicht beobachtet oder von Patienten berichtet.
Somit ist die wichtigste Nebenwirkung ein möglicher Umschlag in eine hypomane bzw. manische Episode, das heißt einen Zustand von Überaktivität, vermindertem Schlafbedürfnis und aufgekratzter Stimmung – Symptome also, die in vielem das Gegenteil von einer SAD darstellen. Personen, die solch einen Zustand in der Vergangenheit möglicherweise oder definitiv schon einmal erlebt haben, sollten vor einer möglichen Lichttherapie ihren behandelnden Arzt unbedingt konsultieren. Ein solcher durch Lichttherapie ausgelöster Zustand ist übrigens zumeist durch die Unterbrechung der Lichttherapie bzw. verlängerten Schlaf in abgedunkelten Räumen gut zu behandeln.
Abschließend sind noch einige englischsprachige Webseiten zu nennen, die nützliche Informationen über Lichttherapie und SAD bereitstellen.

http://www.normanrosenthal.com
http://www.nosad.org
http://www.sltbr.org


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