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G. P. Pannini: Konzert zu Ehren der Geburt des Dauphin, 1729

Es werde Licht!

Die Entstehung des Raumes aus dem Licht im Theater – Licht als Mittel der theatralen Inszenierung

Erika Fischer-Lichte

Im Laufe des 17. Jahrhunderts wurden in Europa Theateraufführungen zunehmend vom Tag auf den Abend und vom Freien in geschlossene Räume verlegt. Hierfür musste künstliche Beleuchtung eingeführt werden. Öllampen, Kerzen, Fackeln sollten mit ihrem Lichtschein sicherstellen, dass die Zuschauer die Vorgänge im Bühnen- und Zuschauerraum gut wahrnehmen konnten.

Das neue Beleuchtungssystem wurde in kürzester Zeit so weit perfektioniert, dass es sich – neben Schauspielkunst, Kostüm, Dekoration, Musik – zu einem eigenständigen theatralen Mittel entwickelte. Die Verwendung von Licht definierte von nun an die Räume auf eine spezifische Weise und eröffnete ihnen neue Wirkungs- und Bedeutungsmöglichkeiten.
Die ungefähr gleich starke Beleuchtung von Bühne und Zuschauerraum im 17. Jahrhundert wies beide als Räume der Repräsentation aus. Im Zuschauerraum ermöglichte das Licht allerdings nicht nur die Wahrnehmung der besonderen gesellschaftlichen Ordnung, wie sie von der Sitzordnung der Zuschauer und ihrem Verhalten repräsentiert wurde, sondern auch einen geselligen Umgang der Zuschauer miteinander gemäß dieser Ordnung. Der Zuschauerraum war als Schau-Raum zu begreifen, in dem die Mitglieder des Hofes sich und ihren gesellschaftlichen Rang zur Schau stellten. In Frankreich ging dies soweit, dass sich die Zuschauer in Sesseln auf der Bühne niederließen und den Schauspielern kaum mehr Raum für ihre Aktionen blieb. Die Zuschauer unterhielten sich dabei oft so laut, dass die Schauspieler nicht mehr zu verstehen waren.
Die Verwendung des Lichts auf der Bühne wies diesen in besonderer Weise als einen Bedeutungsraum aus. Mit Hilfe einfacher Vorrichtungen – wie Metallscheiben, mit Wasser gefüllten Glaskugeln, Spiegeln oder der Laterna magica – ließen sich verblüffende Lichteffekte erzeugen, die die Zuschauer in Angst, Schrecken, Faszination oder andachtsvolle Bewunderung versetzten. Vor allem zwei Arten von Effekten stachen hervor: die grellen Feuereffekte und die milden Lichteffekte. Feuereffekte wurden bei der Darstellung von Vulkanausbrüchen und Feuersbrünsten eingesetzt, um Blitze einschlagen, Kometen über den Himmel rasen oder die Hölle lodernde Flammen ausspeien zu lassen: Sie sollten Grauen, Angst und Schrecken einflößen und auf nahendes Unheil oder Katastrophen hindeuten, in denen das Wirken des Teufels in der Welt sich offenbart. Sie waren dem Bereich des Bösen, des Satanischen zuzuordnen.
Ihnen traten die sanften Lichteffekte gegenüber, die Heiligenscheine, die aufleuchtenden Wolken, in denen Heilige oder Engel zur Erde niederstiegen, und vor allem die Schlussapotheosen. In ihnen erschienen die Insignien des Reiches, der Namenszug des Herrschers, die Hostie oder das Kreuz in strahlendem Glanz. Diese Lichteffekte verwiesen auf den Bereich des Göttlichen. Sie sollten Bewunderung und Andacht hervorrufen und fungierten als Zeichen für die Manifestation des Göttlichen in der Welt.
Das Licht als theatrales Gestaltungsmittel vermochte in besonderer Weise auf das Satanische wie auf das Göttliche zu verweisen. Der Kampf transzendenter Mächte um das Seelenheil des Einzelnen oder das Schicksal der Welt konnte so mit Hilfe von Zeichen zur Erscheinung gebracht werden, die der Zeit als vollkommene Repräsentationen dieser Mächte galten: dem Feuer als der Repräsentation des Satanischen und dem Licht als Repräsentation des Göttlichen.
Am Ende der Aufführung in der Schlussapotheose glänzte in leuchtenden Lettern der Namenszug des Herrschers aus dem Dunkel des Bühnenraumes oder erschien im Strahlenkranz die Hostie und durchflutete die Welt des Bühnenraumes mit ihrem Licht. Dadurch schien sich die Begrenztheit des Raumes in die Unendlichkeit des Lichtes aufzulösen. Dieser Vorgang ist nicht nur als ein Zeichen zu begreifen, das auf Ruhm und Größe des Herrschers oder auf die göttliche Gnade im Allgemeinen hindeuten sollte. Die Aufhebung der Bühnenwelt im Licht der Apotheose sagte vielmehr den endgültigen Ausgang jenes Kampfes voraus: So wird am Ende der Zeit die ganze Welt im Glanz der göttlichen Gnade aufgehoben sein. Entsprechend lässt sich die Schlussapotheose als Allegorie der Auferstehung und des ewigen Lebens begreifen, die sie die Zuschauer vorwegnehmend wenigstens ästhetisch erfahren ließ.


Drottningholm, Bühnenbild von J. L. Deprez (Foto: Institut für Theaterwissenschaft)

Solange der Zuschauerraum beleuchtet war, blieb er ein geselliger Raum. Zwar fungierte er in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nicht mehr als Raum, der die gesellschaftliche Ordnung repräsentiert, wohl aber als ein Raum, in dem der Bürger als empfindsamer Mensch seine Tränen und anderen Gefühlsausdruck zur Schau stellte. Die „Gefühlsansteckung“ vermochte vor allem deshalb zu funktionieren, weil der weinende Zuschauer auch die anderen Zuschauer in Tränen zerfließen sah. Nur weil die gemeinsame Rührung von jedem Zuschauer wahrgenommen werden konnte, vermochte sie verstärkend und vereinend zu wirken.
Wie aus den kritischen Artikeln in den Theaterzeitschriften bis weit ins 19. Jahrhundert hinein hervorgeht, fungierte der Zuschauerraum auch in anderer Hinsicht als ein geselliger Raum: Man kam und ging, aß und trank, führte „Gevattergespräche“ über die Köpfe anderer Zuschauer hinweg, versuchte mit der Lorgnette herauszufinden, was sich in anderen Logen zutrug, und unterhielt sich darüber weit lebhafter und ungenierter als über die Vorgänge auf der Bühne.
In den zwanziger Jahren des 19. Jahrhunderts wurde die Gasbeleuchtung eingeführt, die eine Verdunkelung des Zuschauerraums möglich machte. Erste entsprechende Experimente führte Charles Kean in England seit den vierziger Jahren durch. Der Erste, der konsequent den Zuschauerraum während der Aufführung vollständig verdunkelte, war Richard Wagner. Ihm war das gesellige Treiben – vor allem des Opernpremierenpublikums – ein derartiger Gräuel, dass er ihm bei den ersten Bayreuther Festspielen 1876 ein für allemal ein Ende zu bereiten trachtete.
Mit der Verdunkelung hörte der Zuschauerraum auf, ein geselliger Raum zu sein. Der ins Dunkel versetzte Zuschauer vermochte die Reaktionen der anderen Zuschauer nur noch wahrzunehmen, wenn sie sich lautlich artikulierten. Statt eine Beziehung sowohl zum Bühnengeschehen als auch zu den anderen Zuschauern eingehen zu können, musste er seine Aufmerksamkeit ausschließlich auf die Bühne richten. Wagner bezeichnete diese neue, von ihm geforderte Haltung des Zuschauers als „ein dämmerndes Wähnen, ein Wahrträumen des nie Erlebten“. Für den im Dunkeln sitzenden Zuschauer wurde die Bühne, auf die alles Licht fiel, in diesem Sinne zu seinem „Innenraum“, das heißt dem Raum, in dem er seine Träume – Wunsch- oder Albträume – ausagiert sah. Die Bühne wurde zum „Traumbild“, wie Hugo von Hofmannsthal es knapp dreißig Jahre später fomulierte.
Damit die Bühne vom Zuschauer tatsächlich als sein „Innenraum“, sein Traumbild, wahrgenommen werden konnte, musste sie sich in eine grundsätzlich andere Art von Raum verwandeln. Die Bühne musste zu einem beweglichen Raum werden, wie er mit Hilfe der Gasbeleuchtung jedoch nicht zu schaffen war. Hierzu bedurfte es der Erfindung des elektrischen Lichtes.
Der Schweizer Bühnenbildner Adolphe Appia forderte in seiner 1899 publizierten Schrift Die Musik und die Inszenierung einen völlig neuen Einsatz des Lichtes. Nicht zufällig entwickelte er diese Theorie unter Bezug auf Richard Wagners Musikdrama. Denn es war ihr Ziel, durch Licht eben jene beweglichen Räume zu erzeugen, die „ein dämmerndes Wähnen, ein Wahrträumen des nie Erlebten“ allererst ermöglichen. Appia räumte die Kulissen von den Bühnen, gliederte den Bühnenboden durch unterschiedliche Treppen, Stufen und Podeste, die dem Darsteller die unterschiedlichsten Stellungen und Bewegungen im/durch den Raum erlaubten und so den Raum in rhythmische Bewegung zu versetzen schienen. Da jedoch „der Ausdruck fehlt“, wenn „das Licht fehlt“, schlug Appia vor, die Beleuchtung so einzusetzen, dass es allein das ständig wechselnde Spiel von Licht und Schatten sei, das den Raum als einen beweglichen und bewegten hervorbringt. „Die unvergleichlich lenksame Flüssigkeit des Lichts“ verflüssigt auch den Raum. Auf diese Weise könnte das Licht den Raum als einen ständig sich wandelnden, in sich bewegten erzeugen.
Appias Visionen ließen sich mit der Beleuchtungstechnik um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert nur in Ansätzen verwirklichen. Was Appia vorgeschwebt haben mag, ließ Robert Wilson durch Einsatz von Lichtcomputern Realität werden.
Wenn innerhalb von 120 Minuten mehr als 300 Lichteinstellungen durchgespielt werden, so entsteht tatsächlich ein ständig sich wandelnder, bewegter und beweglicher Raum ohne wahrnehmbare Grenzen, der uns den Eindruck von flackernd vorbeiziehenden Traumbildern zu suggerieren vermag. Es sind solche Räume, die dem Zuschauer „ein dämmerndes Wähnen, ein Wahrträumen des nie Erlebten“ und damit ganz besondere Erfahrungen ermöglichen.


Light Bulb in der Aufführung von Robert Wilsons Death Destruction and Detroit I, Schaubühne, Berlin, 1979 (Foto: Institut für Theaterwissenschaften)

Nicht erst seit Erfindung des Lichtcomputers, sondern bereits seit Einführung der künstlichen Beleuchtung im 17. Jahrhundert wurde Licht im Theater eingesetzt, um besondere, auf den Raum bezogene Erfahrungen beim Zuschauer hervorzurufen. Wenn ein Komet mit einem langen Feuerschweif über den Bühnenhimmel raste, so entstand eine unheimliche, Angst und Schrecken einflößende Atmosphäre. Wenn die Wolken in mildem Licht erstrahlten, sich mit einem Engel langsam auf die dunkle Erde niedersenkten und diese mit ihrem Schein erhellten, stellte sich eine heitere, Glück verheißende Atmosphäre ein. Es ist also keineswegs erst das romantische Theater in den 30er/40er Jahren des 19. Jahrhunderts, das mit Hilfe der Gasbeleuchtung die unterschiedlichsten „romantischen“ Atmosphären herzustellen wusste, oder gar erst Max Reinhardt, der Meister in der Schaffung von Atmosphären zu Beginn des 20. Jahrhunderts, die das Licht zur Erzeugung von Atmosphären eingesetzt haben. Seit es künstliche Beleuchtung gibt, wird Licht für die Herstellung von Atmosphären verwendet. Nun ist es in der Regel nicht nur das Licht, sondern gleichzeitig zu hörende Geräusche (wie das Krachen, das den Kometen begleitete) oder Musik (wie bei den niederschwebenden Wolken) oder auch bestimmte, im Bühnenraum wahrzunehmende – gemalte oder praktikable – Objekte, die ebenfalls an der Schaffung einer Atmosphäre beteiligt sind. Das Licht, in das die Objekte getaucht sind – als warmes, freundliches Licht, trübes oder kaltes Licht –, spielt jedoch für die Eigenart der Atmosphäre eine besondere Rolle. Es ist das Licht, das darüber entscheidet, ob eine Atmosphäre als unheimlich, bedrückend, verstörend, als melancholisch, traurig, niederziehend, als heiter, friedlich, beruhigend oder beglückend empfunden wird.
Nun sind Atmosphären weder als etwas objektiv Existierendes zu begreifen, wie Gernot Böhme in seinem Buch Atmosphären (1995) dargelegt hat, nämlich als Eigenschaften, über die die Dinge, von denen sie auszugehen scheinen, verfügen, noch als etwas Subjektives, das heißt als Seelenzustand des wahrnehmenden Subjekts, den es in den Raum mit seinen Objekten hineinprojiziert. Zwar gehören sie insofern durchaus zu den Dingen, als diese durch ihre Eigenschaften in Erscheinung treten. Aber sie sind subjektiv in dem Sinne, dass Menschen in ihrer leiblichen Anwesenheit sie spüren. Das heißt die Atmosphäre ist als etwas zu denken, das sich räumlich zwischen Objekt und Subjekt „ergießt“. Es ist in der Tat die „unvergleichlich lenksame Flüssigkeit des Lichtes“, von der Appia sprach, welche den Atmosphären diese besondere Seinsweise ermöglicht. Es stellt sicher, dass sie sich sozusagen im Raum zwischen Bühne und Zuschauerraum ereignen, und definiert den Raum der Atmosphäre gerade als einen beweglichen Zwischenraum. Dabei ist mit Atmosphäre nichts „Romantisches“ gemeint. Auch wenn der Schriftsteller Bert Brecht sich dafür entschied, Licht nur in seiner praktischen Funktion, nämlich die Bühne sichtbar zu machen, einzusetzen, und großen Wert darauf legte, dass der Zuschauer die Scheinwerfer wahrnehmen konnte, schuf er damit doch eine besondere Art von Atmosphäre – Arbeitsatmosphäre –, die der Zuschauer leiblich erspürte und die seine weitere Wahrnehmung und Rezeption der Bühnenvorgänge entscheidend beeinflusste.
Seit mit der Erfindung der elektrischen Beleuchtung die technischen Möglichkeiten für den Einsatz von Licht im Theater erheblich erweitert sind, haben Theaterleute im 20. Jahrhundert mit allen diesen Möglichkeiten experimentiert. Sie haben den Zuschauerraum beliebig erleuchtet oder verdunkelt, auf der Bühne das Licht in den unterschiedlichsten Funktionen eingesetzt und so immer neue Räume geschaffen. Welche Art von Räumen das Licht in den verschiedenen Aufführungen erzeugt hat – auch desselben Regisseurs, wie beispielsweise Max Reinhardts, der in fast jeder Inszenierung das Licht auf andere Weise einsetzte – muss für jeden einzelnen Fall gesondert untersucht werden. Dass es das Licht ist, welches den Raum hervorbringt und als einen spezifischen definiert, kann dabei, wie gezeigt, vorausgesetzt werden.

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