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Das Netz und der Fischer

Die katholische Kirche als Hieraschie und Netzwerk


Von Michael Bongardt

Der älteste Global Player der Gegenwart: So wird die Kirche gern genannt – in der Regel die römisch-katholische Kirche. Diese Bezeichnung hat ihre Berechtigung. Sah sich die Kirche doch von Anfang an in der Pflicht, ihre Botschaft bis an die Grenzen der Erde zu tragen. Sie wollte und will Menschen zum christlichen Glauben bewegen und damit in die Gemeinschaft der Gläubigen, sprich: in die Kirche integrieren. Getrieben ist dieses Engagement von der Überzeugung, dass die christliche Botschaft für das Heil aller Menschen hilfreich, wenn nicht unverzichtbar ist. Die weltweite Verbreitung der christlichen Botschaft nahm im Lauf der Geschichte die verschiedensten Wege.

Am bekanntesten und besonders umstritten ist die Mission im Gefolge militärischer Eroberungen – von den Sachsenkriegen bis zur sogenannten Christianisierung Amerikas. Häufig übersehen werden Missionare, die weit früher – und eher den Handelswegen folgend – schon in den ersten Jahrhunderten der Kirche den Fernen Osten erreichten. Übersehen wird oft auch die Tatsache, dass christliche Gelehrte diplomatischen Gesandtschaften angehörten, gelegentlich sogar von fremden Machthabern ausdrücklich eingeladen wurden. Die Vielfalt der missionarischen Aktivitäten trug dazu bei, dass das Christentum schon bald und dann dauerhaft in jenen Teilen der Welt präsent war, von denen es Kenntnis hatte. Je weiter sich der Horizont der für den Okzident sichtbaren und erreichbaren Welt öffnete, desto mehr wuchs die Kirche. Und so ist sie bis heute geblieben, was sie in bescheidenerem Maße schon früh war: ein nicht nur internationales, sondern globales Unternehmen. Ein Indiz dieses Erfolgs: Seit mehreren Jahrzehnten lebt nur noch eine deutliche Minderheit der Christinnen und Christen in jenem mediterranen und europäischen Raum, in dem die Kirche entstand.

Solch dauerhafte Erfolgsgeschichte macht neugierig. Wie rettete sich diese Institution davor, in den stürmischen Meeren der Zeit unterzugehen? Wie entging sie bisher dem Schicksal all der Reiche, Institutionen und Staaten, die in der Regel nach deutlich kürzerer Zeit zerbrachen? Glaube und Theologie greifen hier schnell zu einer ihnen vertrauten Antwort: Es sei, so bekennen sie, Gottes mächtiger Geist, der den Bestand der Kirche bis zum Ende der Zeiten garantiere. Für Menschen, die nicht an ein Handeln Gottes in der Geschichte glauben, ist diese Antwort schlicht sinnlos. Doch auch für Gläubige ist sie unzureichend. Denn gerade der christliche Glaube betont, dass Gott durch das Entscheiden und Handeln von Menschen wirke. Hätten nicht Menschen die Kirche gestaltet, hätte sie nicht an Gestalt gewonnen. Hätten nicht Menschen den Bestand der Kirche gesichert, gäbe es sie nicht mehr. Deshalb wird die theologische Erklärung für die durchaus erstaunliche Tatsache, dass es die Kirche noch heute gibt, in den folgenden Überlegungen keine Rolle spielen. Vielmehr soll es darum gehen, jenen institutionellen Grundstrukturen der Kirche auf die Spur zu kommen, die sich stabil und flexibel genug zeigten, die Existenz der Kirche über die Jahrhunderte zu sichern. Im Mittelpunkt des Interesses steht dabei die römisch-katholische Kirche.

Netzwerk Kirche: der wunderbare Fischfang in den Augen von Konrad Witz (1444)
Foto: Seminar für Katholische Theologie

Sie hat nicht nur mehr Mitglieder als alle anderen christlichen Konfessionen zusammen. Sie verfügt unter diesen wohl auch über das wirkungsvollste Instrumentarium, um sich als Global Player zu behaupten.

Nicht nur unter den weltweit agierenden Institutionen wird der katholischen Kirche der Titel „Älteste“ zugesprochen. Auch als älteste absolutistische Monarchie der Gegenwart wird sie häufig bezeichnet. Für eine solche Charakterisierung sprechen ihr streng hierarchischer Aufbau, die Primatsgewalt ihres Oberhaupts, des Papstes, und Entscheidungsstrukturen, die weit vom modernen Verständnis einer Demokratie entfernt sind. Wer mit dieser Sicht auf die Kirche vertraut ist, wird verwundert eine ihrer frühesten Selbstbestimmungen zur Kenntnis nehmen: Die Kirche, so wird in einem eindrücklichen Bild behauptet, sei ein Netzwerk.

Der Gegensatz könnte nicht größer sein: Netzwerke zeichnen sich aus, so die heute verbreitete Definition, durch eine Vielzahl von Verknüpfungen auf je gleichen Ebenen. Jedes Mitglied ist mit allen seinen Nachbarn verbunden, wohingegen der Kontakt zu entfernteren Mitgliedern in der Regel über zahlreiche Vermittlungen, selten direkt gehalten wird. Netzwerke sind, wenn sie überhaupt Zentren haben, eher polyzentrisch als monarchisch organisiert, und diese Zentren sind von unten gewachsen. Ihre Möglichkeit, schnell und flexibel zu handeln, verdanken Netzwerke einer stark dezentralisierten Entscheidungsstruktur. Schon bei einer relativ geringen Mitgliederzahl weisen sie eine so hohe Komplexität auf, dass sie sich nur schwer überschauen und noch schwerer durch einzelne Akteure steuern lassen. Für all diese Eigenschaften eines Netzwerks steht das Internet als Paradigma schlechthin. Dagegen steht die Kirche als eine absolute Monarchie: In jeder Hinsicht erscheint sie als das Gegenteil eines Netzwerks. Es ist deshalb schwer vorstellbar, dass beide Beschreibungen auf die Kirche zutreffen können, und erst recht undenkbar, dass gerade in diesem Antagonismus ein Grund für ihre erstaunliche Dauerhaftigkeit läge. Und doch ist genau dies die Grundthese, die durch die folgenden Beschreibungen plausibel gemacht werden soll.

Mehrfach berichtet das Neue Testament von einem unerwartet reichlichen Fischfang. Das Johannesevangelium nutzt eine solche Erzählung, um den Lesern ein Bild der Kirche vor Augen zu führen: Nach dem Tod Jesu in Jerusalem kehren die Jünger, so die Schilderung des Johannes, in ihre galiläische Heimat und in ihren ehemaligen Beruf zurück. Sie fischen die ganze Nacht lang im See Genezareth, allerdings erfolglos. Ein ihnen Fremder, in dem sie erst später den auferstandenen Jesus von Nazareth erkennen, tritt hinzu. Nachdem sie auf seine Aufforderung hin das Netz erneut auswerfen, können sie „es nicht wieder einholen, so voller Fische war es“ (Joh. 21,6). Später zieht Petrus das Netz an Land. „Es war mit hundertdreiundfünfzig großen Fischen gefüllt, und obwohl es so viele waren, zerriss das Netz nicht“ (Joh. 21,11). Schon sehr bald sind sich die Exegeten einig: Das hier geschilderte Netz ist die Kirche.

Jugendliche aus aller Welt knüpfen Verbindungen untereinander – auf Einladung des Papstes, der im Weltjugendtag eine Darstellung der hierarchischen Kirche sieht
Foto: JUGEND 2000 International


Die Kirche ist ein Netzwerk, das die Gläubigen in gro­ßer Zahl zusammenhält. Blickt man auf die Wirklichkeit der christlichen Gemeinden, die in diesem biblischen Text symbolisch dargestellt wird, lassen sich zahlreiche Merkmale finden, die der modernen Idee des Netzwerks durchaus nahekommen.

In den ersten drei Jahrhunderten waren die Christen eine gesellschaftliche Minderheit. Es war überlebenswichtig, ein äußerst tragfähiges Netz von Verbindungen zu knüpfen. Die Mitglieder einer Ortsgemeinde suchten nach möglichst vielen Formen gemeinsamen Lebens – vom organisierten, engen Zusammenleben über die regelmäßige Feier des Gottesdienstes bis zur gegenseitigen Unterstützung in Not. Das so entstehende Gewebe sicherte den Zusammenhalt; es ermöglichte eine schnelle Reaktion auf neue Bedürfnisse der Gemeinde. Nicht zuletzt formten sich in diesem Netzwerk und durch dieses Netzwerk die Vorstellungen davon, wie ein christliches Leben gestaltet werden kann, wie in angemessener Weise über Gott zu sprechen und zu denken ist, und welche Form die Feier des Gottesdienstes annehmen soll. In diesem – nicht nur theo­logischen – „Laboratorium“ (C. Markschies) nahm die Kirche allmählich Gestalt an. Dabei zeigte sich ihr Netz als geeignet, auch neue Menschen und neue Ideen aufzu­nehmen. Die Hinzugekommenen wurden selbst zum Teil des Netzes, vergrößerten und veränderten es. Nicht nur für die jeweilige Gegenwart hatte dieses Netzwerk Bedeutung. Die enge Verknüpfung der Gläubigen erlaubte es, den von den Älteren übernommenen Glauben an die Jüngeren weiterzugeben. So entstand die Tradi­tion und die Überlieferung des Glaubens, die zu bewahren die Kirche als ihre eigentliche Aufgabe sah und sieht.

Bis heute kann sich keine Gemeinde von auch nur einer der genannten Aufgaben freimachen, wenn sie lebendig bleiben will. Genauso aber gilt: Die einzelne, an einen bestimmten Ort und eine spezifische Situation gebundene Gemeinde ist mit der Gesamtheit dieser Aufgaben überfordert. Die verschiedenen Gemeinden müssen sich ihrerseits vernetzen, wenn sie Bestand haben wollen. Schon in der frühen Kirche wurden dafür Formen gefunden: gegenseitige Besuche, Beratungstreffen, das Gebet füreinander und der Austausch von Briefen, deren älteste noch Eingang in die Bibel fanden. So wurde es beispielsweise zu einem wichtigen Zeichen der Eintracht – oder auch Zwietracht –, welche Namen auswärtiger Bischöfe in den Gebeten der Sonntagsgottesdienste genannt oder eben nicht (mehr) genannt wurden.

Wächst ein Netz, dann steigen nicht nur seine Komplexität und die Vielfalt seiner Inhalte, sondern auch die Schwierigkeiten. Wegen der Reise- und Kommunikationsbedingungen der Antike bedurfte es eines erheblichen organisatorischen Aufwands, Verbindungen zu etablieren und zu pflegen. Fachleute waren dafür nötig. Einzelne Gemeindemitglieder wurden deshalb mit der Aufgabe betraut, die innergemeindlichen und zwischengemeindlichen Verbindungen zu knüpfen und zu pflegen. Ämter entwickelten sich, in die qualifizierte Kandidaten rituell eingeführt wurden. Besonders gefordert waren diese Amtsträger, wenn das Netz zu reißen drohte: wenn etwa die Auffassungen über Leben, Lehre und Liturgie so weit auseinandergingen, dass es kaum noch möglich schien, in Verbindung zu bleiben. Beratungen wurden nötig, sogenannte Synoden wurden einberufen, in denen Bischöfe die Konflikte beizulegen suchten. Sie standen dabei stets neu vor einer so wichtigen wie heiklen Frage: Wie vielfältig, wie unterschiedlich dürfen die Mitglieder des christlichen Netzwerks leben und denken, wenn sie noch als Christen gelten wollen? Wann scheint es im Interesse der Identität eines Netzes notwendig, Grenzen zu ziehen, Verbindungen zu lösen? Kein Wunder, dass solche Beratungen nicht immer zur Einigkeit führten. Oft genug wurden sie zum Austragungsort von Machtkämpfen, wie es die lange Liste der Bischöfe bezeugt, die sich gegenseitig des Amtes enthoben. Gleichwohl bleibt die Zielvorstellung einer im Austausch errungenen Einigung lebendig. Es besteht also durchaus eine Verankerung in der Realität, wenn das Johannes­evangelium in der zitierten Erzählung nicht nur vom Netz spricht, sondern auch von denen, die es auswerfen, einzuholen versuchen, an Land ziehen: Im Netzwerk der Kirche, dessen Mitglieder nach Aussagen des Neuen Testaments alle eins sind (Gal 3,28) und einander nicht beherrschen, sondern dienen sollen (Mk 10,42 – 45), etabliert sich eine Hierarchie, die zur Idee des Netzwerks in deutlichem Kontrast steht. Davon zeugt schon das Neue Testament. Neben den genannten Texten, die von der Kirche als Netzwerk sprechen, finden sich Aussagen, die das Leitungsamt der Apostel hervorheben, die ihrerseits unter der Leitung Petri stehen (Mt 16,13 – 20).

Ihren ersten Höhepunkt fand die Hierarchisierung der Kirche im vierten Jahrhundert. Kaiser Konstantin hielt das pluralitätsfreudige „Netzwerk Kirche“, das immer wieder von Streit und Spaltung bedroht war, für eine Gefährdung der Einheit des von ihm noch einmal restaurierten Großreichs.

Die regional entwickelten synodalen Strukturen schienen ihm zu schwach, um sein Bild von Einheit durchzusetzen. So berief er das erste Konzil ein, das sich ökumenisch, das heißt weltumspannend nannte. Konstantin verstand sich als oberster Regent der Kirche. Viele Christen sahen in ihm den Herrscher, der dem Christentum zum Sieg in einer vormals als feindlich erfahrenen Welt verhalf. In seiner Vorstellung sollte eine zentrale Leitung, nicht mehr die von unten wachsende Vernetzung die Kirche zusammenhalten. Die organisatorische Effizienz wuchs. Was die christliche Identität ausmacht, wurde durch zunehmend vereinheitlichte Kirchenordnungen und Glaubensbekenntnisse zu bestimmen versucht. Doch ausgerechnet dieser Versuch zerstörte endgültig die Hoffnung des Johannesevangeliums, das kirchliche Netzwerk sei vor dem Zerreißen gefeit. Selbst Gewalt konnte nicht verhindern, dass einzelne Gemeinden, ja ganze Regionalkirchen den Beschlüssen zentraler Leitungsinstanzen ihre Zustimmung verweigerten. Sie trennten sich von der sogenannten Großkirche oder wurden von ihr getrennt – was sie nicht hinderte, sich weiter als Christen zu bekennen. Nicht selten erhoben sie sogar den Anspruch, die wahren Christen zu sein.

Interessanter als die dogmatischen Weichenstellungen und als die nach vermeintlichen Einigungen weiter gehenden Glaubenskämpfe ist der Funktionswandel der etablierten kirchlichen Netzwerke, der sich dabei vollzog. Von Gläubigen geknüpft, die wussten, dass diese Verbindungen notwendig waren, kann eine hie­rarchische Leitung sie nutzen, um ihre Beschlüsse in erstaunlicher Geschwindigkeit und Wirksamkeit in der Kirche zu verbreiten und durchzusetzen. Je mehr sich dieses Geflecht der Herrschaft verfestigt, desto mehr entwickelt sich das polyzentrische, sich selbst steuernde Netzwerk zu einem Identität sichernden, aber Pluralität und Selbstbestimmung einschränkenden Instrument derer, die das Netz halten. Was mit dem vom Kaiser einberufenen Konzil in Nicäa, also in der Ostkirche 321, seinen Anfang nahm, findet im Westen in anderer Form seine Fortsetzung. In den folgenden Jahrhunderten gelang es dem Bischof von Rom, zumindest für die Kirche im ehemaligen weströmischen Herrschaftsgebiet, eine Vorrangstellung zu erringen und zu behaupten. Sie gewinnt Gestalt und Einfluss in der Auseinandersetzung mit den weltlichen Herrschern, in der den Päpsten stets dann nachhaltiger Erfolg beschieden ist, wenn sie ihre Verbindungen zu einflussreichen Personen und Institutionen besonders gut zu knüpfen und zu nutzen wissen. Dieser wirkungsvolle Aufbau, dessen streng hierarchisch organisiertes Geflecht durch den Gehorsam der Kleriker gegenüber dem Papst gekennzeichnet ist, darf jedoch nicht als einseitige Auflösung des Antagonismus von Hierarchie und Netzwerk verstanden werden.

Erfolg eines revolutionären Netzwerks: Papst Innozenz III. erkennt die Ordnungsregeln der Franziskaner an
Foto: Seminar für Katholische Theologie


Wäre es zu einer solch einseitigen Lösung gekommen, die katholische Kirche wäre vermutlich längst in ihren Strukturen erstarrt – oder am Aufstand beziehungs­weise Auszug derjenigen zugrunde gegangen, die sie beherrschte. Die tatsächliche Entwicklung verlief anders: Immer wieder erhob sich Widerspruch gegen die zentrale Organisation der Kirche sowie gegen Entscheidungen und Lebenswandel ihrer Päpste und Würdenträger. Und solange dieser Widerspruch mehr war als die verhallende Warnung des Rufers in der Wüste, entstanden neue Netzwerke. Menschen mit gleichen Anliegen verbanden sich und wollten so der Kirche ­eine neue – oder besser – erneuerte Gestalt geben. Viele Orden verdanken einem solchen vernetzten Erneuerungswillen ihre Existenz. Auch die von Martin Luther angestoßene Reformation wurde auf ­diese Weise schnell zu einer großen Bewegung, weil die Kritik an der konkreten päpstlichen Leitung der Kirche entsprechend verbreitet war. Die meisten dieser neu entstandenen Netzwerke verstanden sich nicht als antikirchliche, gar antichristliche Initiativen. Vielmehr beanspruchten sie ihren Platz in der Kirche. In dieser Konstellation stand und steht immer wieder die oben bereits beschriebene Entscheidung an: Kommt es zur Verbindung des neuen Netzwerks mit dem alten Geflecht, zu dessen Weitung und Reform? Oder sieht die Kirche nur im endgültigen Riss, in der Abspaltung und Ausgrenzung des Neuen die Möglichkeit, ihre Identität zu sichern? Es muss hier nicht entschieden werden, ob all die Risse, zu denen es in der Geschichte der Kirche kam, zur Wahrung der Tradition erforderlich waren, oder ob sie verpasste Chancen waren, das Netzwerk zu bereichern und zu erweitern. Ebensowenig kann ausgeführt werden, dass jedes der genannten neu entstandenen Netzwerke, wenn es denn seine Anfangsjahre überlebte, seinerseits jenen Gegensatz von egalitärer Verknüpfung und hierarchischer Leitung gestalten musste.

Die katholische Kirche – ein Netzwerk? Wer in aktueller Literatur oder etwa im Paradigma aller Netze, dem World Wide Web, nach der Verbindung der Stichworte „Netzwerk“ und „Kirche“ sucht, wird bald feststellen: In den offiziellen Selbstdefinitionen des kirchlichen Amtes spielt der johanneische Begriff der Kirche als Netzwerk eine allenfalls marginale Rolle. Inflationär aber ist der Gebrauch des Begriffs bei denen, die sich aktuell von der Kirche ausgegrenzt sehen und gleichwohl nicht davon lassen wollen, ihr anzugehören. Es finden sich Netzwerke derer, die nicht zum Klerus gehören, Netzwerke derjenigen, die aufgrund ihrer Lebensform oder sexuellen Orientierung in der Kritik stehen, Frauen-Netzwerke und solche, die für einen offeneren Umgang mit anderen Konfessionen und Religionen eintreten.

Es wird für die katholische Kirche viel davon abhängen, ob und wie es ihr gelingt, die ihr zugrunde liegende Spannung zwischen den bestehenden Netzwerken und ihrer institutionell-hierarchischen Form weiterhin produktiv zu gestalten. In ihrer Absicht steht dies jedenfalls: Das bisher jüngste, das Zweite Vatikanische Konzil, hat in seiner Beschreibung der Kirche diese Spannung beschrieben und bestätigt. Denn einerseits wird dort die im 19. Jahrhundert besonders hervorgehobene, monarchische Stellung des Papstes bekräftigt – andererseits aber auch betont, die Kirche bestehe „in und aus“ ihren Ortskirchen, mit anderen Worten: als Netzwerk, das sie von Anfang an war.

Nach den Erfahrungen der letzten 2.000 Jahre ist zu erwarten, dass ihre antagonistische Grundstruktur die Kirche immer wieder in Konflikte und auch auf Abwege treibt – und dass die gleiche Struktur geeignet ist, Traditionswahrung und Neuerung miteinander zu verbinden. Dass die Kirche trotz ­ihrer konfliktreichen Geschichte zum ­ältesten Global Player der Gegenwart wurde, lässt jedenfalls den Schluss zu, dass andere Netzwerke und Institutionen von ihr lernen können.


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