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Netzwerker vor dem Herrn?

Kardinäle im Mittelalter


Interview mit Ralf Lützelschwab

„Glieder des Papstleibes oder Nachfolger der Apostel?“ So lautet das wissenschaftliche Netzwerk, das die Forschung über die Kardinäle – die höchsten katholischen Würdenträger nach dem Papst – des Mittelalters voranbringen soll. Das Projekt wird über drei Jahre von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert. Das wissenschaftliche Netzwerk soll international den Austausch von jungen und etablierten Forschern zum mittelalterlichen Kardinalat stärken. Federführend sind zwei junge Wissenschaftler der Freien Universität Berlin und der Ludwig-Maximilians-Universität München. fundiert sprach mit Dr. Ralf Lützelschwab, Historiker an der Freien Universität Berlin, der zusammen mit Dr. Jürgen Dendorfer von der LMU das Netzwerk koordiniert.

fundiert: Ihr Forschungsprojekt beschäftigt sich mit dem Kardinalat in der Zeit vom 11. Jahrhundert bis zum Beginn der Reformation 1517. Wie sind Sie auf die Idee für dieses Forschungsprojekt gekommen?

Lützelschwab: Aus einem ganz praktischen Grund: Nach dem Tod Johannes Pauls II. im vergangenen Jahr gab es eine wahre Medienhysterie. Alle Medien – egal, ob Rundfunk, Print oder Fernsehen – schmückten sich mit wissenschaftlichem Sachverstand. Je genauer die Fragen zur Geschichte des Kardinalats allerdings gestellt wurden, desto größer – erschreckend groß – waren die Wissenslücken, die dabei zutage traten. Das lag aber nicht unbedingt an der Inkompetenz der Fachleute, sondern war der Tatsache geschuldet, dass es noch sehr viel Unbekanntes auf diesem Gebiet gibt. Das, was man zu wissen meint, deckt sich eben nicht immer mit dem, was man tatsächlich weiß. Das war bei dieser Institution eigentlich nicht zu vermuten, da sie im gesamten Mittelalter sehr einflussreich und politisch dominant war und wir weiß Gott nicht die Ersten sind, die sich mit ihr beschäftigen. Der zweite Grund ist meine Dissertation, in der ich mich mit dem Kardinalskolleg beschäftigte und deshalb auch auf Schwachstellen in der Forschung gestoßen bin. Letztlich war es auch ein persönlicher Traum, dieses Forschungsgebiet auszubauen und zu verfolgen. Rein zufällig habe ich im vergangenen Jahr einen Kollegen in München getroffen, der sich zum Thema Kardinalat habilitiert, und gemeinsam haben wir einen Antrag bei der Deutschen Forschungsgemeinschaft gestellt.

fundiert: Wie wollen Sie und Ihre Kollegen bei Ihrem Projekt vorgehen? Wie strukturieren Sie das Themenfeld?

Lützelschwab: Wir haben den gesamten Themenkomplex in vier Großgruppen eingeteilt, weil dieses Thema nur so in den Griff zu bekommen ist. Und selbst mit diesen vier Großgruppen, an denen insgesamt zwölf Forscher beteiligt sind, müssen wir einige Aspekte außen vor lassen. Wir beschäftigen uns zum einen mit der Legitimation des Kardinalats über die Jahrhunderte. Zum anderen gehen wir der Frage nach, wie sich der Kardinalat im Spannungsfeld zwischen Oligarchie und Monarchie positioniert – deshalb auch der klangvolle Titel des Netzwerks „Glieder des Papstleibes oder Nachfolger der Apostel?“ Die dritte Großgruppe beschäftigt sich mit dem Thema: „Wie wird man eigentlich Kardinal?“ Das ist eine Frage, die für die verschiedenen Jahrhunderte unterschiedlich beantwortet werden muss. Das Anforderungsprofil etwa wandelte sich, und wir schauen uns in diesem Zusammenhang auch typische Karrieremuster an. Die vierte Frage dreht sich um das, was wir Medialität nennen. Dabei gerät das in den Blick, was die Kardinäle neben ihrer Verwaltungstätigkeit tatsächlich zu Papier gebracht haben. Einige Schriftgattungen sind leider nur sehr bruchstückhaft überliefert. Gerade bei der Predigt wissen wir nicht viel, obwohl Kardinäle zur Predigt verpflichtet waren. Die wenigen Beispiele, die wir kennen, bestechen sicherlich nicht durch theologische Brillanz, erlauben oftmals jedoch wertvolle Einblicke in das kuriale Tagesgeschäft. Meist waren Kardinäle eben Juristen – und man merkt, dass sie nicht gut predigen konnten. Bei den Predigten gibt es also Wissenslücken, aber wir haben in unserem Netzwerk einen amerikanischen Kollegen, der sich mit diesen Kardinals­predigten auseinandersetzt und dem es durch emsige Forschung gelingt, ständig neue Quellen aufzutun. Für die Zeit des Avignonesischen Papsttums, der Zeit von 1308 bis 1378 also, in der die Päpste in Avignon residierten, wird man aber wohl auf kaum mehr als 40 Predigten kommen.

fundiert: Sind die vier unterschiedlichen Forschungsschwerpunkte jeweils vier verschiedenen Forschern zugeteilt?

Lützelschwab: Nein, wir spezialisieren uns auf Jahrhunderte. Innerhalb dieser Jahrhunderte werden alle vier genannten Aspekte behandelt. Es ist also jeder Spezialist für sein Jahrhundert, muss da aber auch alle vier Aspekte erforschen – Absprachen mit Kollegen, die dasselbe Jahrhundert behandeln, sind aber erlaubt.

Der heilige Petrus – der „Fels, auf dem die Kirche gebaut ist“ (Mt 16,18), erster Papst der Geschichte
Foto: Marco Van Belleghem, Fotolia

fundiert: Sie sind bei diesem DFG-Projekt federführend. Wie koordinieren sie die Zusammenarbeit?

Lützelschwab: Die Koordinierung erfolgt zunächst auf der Schiene München–Berlin. Das Projekt beinhaltet insgesamt sechs Treffen, bei denen wir als Organisatoren und Koordinatoren die Richtung vorgeben. Den Kollegen schlagen wir bei jedem Treffen ein Themengebiet vor, das bis zur nächsten Zusammenkunft bearbeitet werden soll – und nach einem halben Jahr werden die Ergebnisse der Arbeit dann präsentiert.

fundiert: In welcher Sprache kommunizieren Sie bei den Treffen? Die Teilnehmer kommen schließlich aus verschiedenen Ländern wie Italien, Frankreich, Deutschland und den USA.

Lützelschwab: Da hat die Mediävistik einen großen Vorteil: Für uns ist es meist möglich, alle vier Sprachen zu bedienen – so wie wir auch bei unserem ersten Treffen in allen vier Sprachen kommuniziert haben.

fundiert: Ist ein Forschungsprojekt dieser Reichweite nur noch im Team und verteilt über mehrere Länder zu bewältigen?

Lützelschwab: Eine Institution allein wäre mit solch einem Projekt sicher überfordert. Die Forschung ist mittlerweile sehr ausdifferenziert, und es gibt in den einzelnen Ländern unterschiedliche Forschungsschwerpunkte – auch mit nationalen Vorlieben, die sich im Lauf der Zeit herausgebildet haben. Deshalb ist ein solches Forschungvorhaben nur in internationaler Zusammenarbeit sinnvoll zu bewerkstelligen. Frankreich beispielsweise beschäftigt sich seit jeher stärker mit der Frage der Kulturpatronage, während wir das harte Geschäft der Urkundenkritik betreiben. Und es gibt die französische Affinität zu Predigten und zu literarischer Produktion im Allgemeinen, die in Deutschland nicht so stark ausgeprägt ist: Hier haben wir den Kardinalat eher unter rechtsgeschichtlicher und theologisch-ekklesiologischer Perspektive untersucht. Trotz aller Schwerpunkte sind viele Aspekte einfach noch nicht behandelt worden – und da ist internationale Kooperation gefragt.

fundiert: Haben Sie bei diesem Projekt die Unterstützung der Katholischen Kirche?

Lützelschwab: Nicht direkt, aber dass die Katholische Kirche an unserem Projekt interessiert ist, liegt auf der Hand. Die Grußworte des Münchener Kardinals bei unserer Eröffnungsveranstaltung Anfang November in München haben dies gezeigt. Man sollte wissen, dass auch Priester bisher einen Teil der Forschung zum Kardinalat geleistet haben. Doch Vorsicht ist angebracht: Als Forscher darf man sich nicht in allzu große Nähe einer Institution mit eigenen Zielsetzungen und Interessen begeben, weil man sich sonst dem Vorwurf aussetzt, nicht objektiv zu sein – ein Vorwurf, der auch immer wieder den großen Fakultäten für Theologie oder für Kirchengeschichte gemacht wird.

fundiert: Als Historiker dürfte mangelnde Objektivität doch kein Problem sein?

Lützelschwab: Das stimmt, aber trotzdem sind wir darauf angewiesen, dass wir beispielsweise Zugang zum Vatikanischen Archiv haben und – wie gesagt – man muss mitunter eben doch ein wenig taktieren.

fundiert: Wie kann man sich denn die Arbeit im Archiv des Vatikans vorstellen? Man kann ja nicht einfach ein- und ausgehen wie in jedem anderen Archiv.

Heute erinnert an der Hafeneinfahrt von Konstanz die Statue der Imperia in satirischer Form an das Konzil von Konstanz. Auf ihren erhobenen Händen
trägt sie rechts den Kaiser und links den Papst
Foto: Wannenmacher


Lützelschwab: Sie brauchen vor allem jemanden, der ein Empfehlungsschreiben ausstellt – das ist sozusagen die Eintrittskarte. Die bekommt man entweder von einem Professor, der im Vatikan bekannt ist, oder man nutzt Kontakte zu den Auslandsinstituten in Rom. Danach läuft es aber wie in jedem anderen Archiv auch, es wird nicht selektiert, und es werden auch keine Bestände gesperrt – bis auf die letzten 70 Jahre. Die Aura ist natürlich einmalig: Sie arbeiten nämlich im Privatarchiv des Papstes – und auf dieses Privileg werden Sie immer wieder hingewiesen. Das Arbeiten selbst funktioniert hervorragend und ist äußerst effizient, weil das Archiv sehr gut organisiert und auch weltläufiger als jedes andere mir bekannte Archiv ist – französische Forscher sprechen da auch schon einmal salopp vom „salon intellectuel de l’Europe“. Seit 20 Jahren gibt es da beispielsweise ein Café: ein internationaler Umschlagplatz für Informationen. Hier können sich Forscher in den unterschiedlichsten Sprachen austauschen, unterhalten und informieren. Sie sehen also: In Italien ist selbst Kaffeetrinken für die Forschung nützlich. Für meine Dissertation recherchierte ich in diesem Archiv über Papst Clemens VI. – und hatte die Vermerke von Clemens VI. im Original vor mir. Als Historiker hat mich das doch eher gegen meinen Willen sehr beeindruckt. Sie merken aber an meiner Begeisterung, dass ich sehr gerne in Rom arbeite.

fundiert: Zum Forschungsprojekt selbst: Können Sie schon absehen, wie sich die Rolle der Kardinäle in der Zeit zwischen dem 11. und dem 15. Jahrhundert verändert hat?

Lützelschwab: Das kann man nicht pauschal beantworten. Es gibt zwar große Entwicklungslinien, aber grundsätzlich steht immer die Frage im Vordergrund: Wie positionierten sich die Kardinäle gegenüber dem Papst? Der Kardinalat hat nämlich ein zentrales Problem: Er ist eine Institution, die sich biblisch nicht begründen lässt – es gibt in der Bibel keine Kardinäle. Es gibt darin aber Apostel, und als deren Nachfolger gelten die Bischöfe. Also mussten sich die Kardinäle diesbezüglich positionieren, was sie auch mehr oder minder geschickt bewerkstelligten. Aber ihre eigene Stellung war immer davon abhängig, ob der regierende Papst stark oder schwach war. Bei schwachen Päpsten konnten die Kardinäle ihre eigene Macht wesentlich besser entfalten als bei einem autokratisch regierenden Papst. Was den Kardinälen aber immer blieb, war das vornehmste Recht der Papstwahl – bis heute. Wie sich im Anschluss an eine solche Wahl aber alle anderen Rechte gestalteten, war abhängig vom jeweiligen Papst. Päpste haben es immer vermieden, Zusagen zu geben, die im Zweifelsfall rechtsverbindlich einzufordern gewesen wären. Der Kardinalat ist also eine Institution, um die herum unglaublich viel taktiert wurde.
fundiert: Ist das auch innerhalb des Kardinalats der Fall?

Lützelschwab: Natürlich, Kardinäle waren Teil unterschiedlicher Netzwerke und nutzten diese auch. Diese Netzwerke waren von den unterschiedlichsten Faktoren geprägt: zum einen durch den sehr wichtigen Faktor „Verwandschaft“. Zum anderen spielte es eine große Rolle, aus welchem Land beziehungsweise welchem Landstrich man stammte. Als der Papst in Avignon residierte, war es wichtig, ob die Herkunft Gascogne hieß oder Nordfrankreich. Damals bildeten sich „Koalitionen der Herkunft“. Ein anderes wichtiges Kriterium war die Ausbildung – wenn man etwa an den gleichen Universitäten studiert hatte und sich dadurch ganz automatisch Netzwerke bildeten.

fundiert: Man versuchte also erst herauszubekommen, wie stark der Papst war und kümmerte sich später darum, mit wem man paktieren konnte, um die eigenen Interessen durchzusetzen?

Lützelschwab: Genau. Wobei man nicht heutige Vorstellungen von der Größe des Kardinalskollegiums ansetzen darf. Derzeit sind es rund 140 Personen – im Mittelalter waren es 20 bis 30. In diesem Zusammenhang gibt es den schönen Begriff der „Kreatur“ im Sinne von: „vom Papst Erschaffenes“. Die „richtigen Kreaturen“ sind natürlich diejenigen, die der Papst selbst ernennt. Hier kann man sehr gut untersuchen, auf welche Faktoren ein Papst bei der Ernennung der Kardinäle Wert legte. Zählte nur die Verwandtschaft, oder verfügten die „Kreaturen“ tatsächlich über besondere Fähigkeiten und Stärken? In den meisten Fällen waren es doch eher talentierte Leute, die den Kardinalspurpur überreicht bekamen. Und wenn ein Neffe des Papstes schon mit 18 Jahren Kardinal wurde, dann sorgte der Papst eben ­dafür, dass er die entsprechende Ausbildung bekam, wie im Fall eines Neffen Clemens’ VI., der ernannt und ­bereits am folgenden Tag zum Rechtsstudium nach Bologna geschickt wurde.

fundiert: War die Kurie italienisch dominiert in dem Zeitraum, den Sie untersuchen? Oder waren noch andere Länder vertreten?

Lützelschwab: Für das 12. und 13. Jahrhundert gilt sicherlich die Dominanz der Italiener, es gab wenige Spanier und Engländer. Aber im Grunde waren die Italiener führend, gefolgt von den Franzosen, die sich in Hinblick auf das Diktum von „Frankreich als ältester Tochter der Kirche“ schon seit langer Zeit privilegiert fühlten. Das Verhältnis kehrte sich allerdings um, als das Papsttum 1309 nach Avignon übersiedelte. Seit diesem Zeitpunkt wurde das Kardinalskollegium ganz klar von Franzosen dominiert. Von den 30 Kardinälen stammten vielleicht drei aus Italien, Spanien und England waren gar nicht mehr vertreten. Man sagt sogar, dass die Katastrophe von Avignon, das heißt die Aufgabe Roms zugunsten der Stadt an der Rhône, dazu geführt habe, dass nie mehr ein Franzose Papst wurde – die Kirche habe eben ein sehr langes Gedächtnis.

fundiert: Aber dieses Verhältnis hatte sich auch wieder gewandelt …

Lützelschwab: Nach dem Konstanzer Konzil 1415 kehrt sich dieses Verhältnis wieder um. Die Päpste waren 1378 nach Rom zurückgekehrt, unmittelbar danach brach das Große Schisma aus, das heißt, es gab nun mehrere Päpste, die Anspruch auf die Tiara erhoben – und so wusste man nicht mehr, wer der richtige Papst war. 1415 wurde dieses Problem in Konstanz gelöst: Es gab nur noch einen Papst, und der war definitiv in Rom angesiedelt. Danach folgt eine gewisse Internationalisierung des Kardinalkollegs – eine der Bedingungen der Konstanzer Konzilsväter. Lange wurde das aber nicht durchgehalten: Ende des 15. Jahrhunderts hatte man wieder eine italienische Dominanz. Und dabei ist es ja eigentlich auch bis weit ins 20. Jahrhundert geblieben.

fundiert: Welche Lücken gilt es in der Forschung noch zu schließen?

Lützelschwab: Es gibt zum Beispiel im 15. Jahrhundert – nach dem Konzil von Konstanz und mit einem starken Papst – einen sprunghaften Anstieg von Schriften namens „De cardinalatu“, Texte über den Kardinalat, die aus der Feder der Kardinäle selbst stammen. Die Fülle dieser Schriften, mit denen sich die Kardinäle nach der Katastrophe von Avignon neu gegenüber dem Papst positionieren wollten, ist bis heute nicht untersucht. Auch in Hinblick auf die Finanzverwaltung und die Mittelzuweisungen an die Kardinäle gibt es noch viele offene Fragen. Interessant ist es ja schon zu wissen, woher die Mittel für prächtige Hofhaltungen und umfangreiches Mäzenatentum kamen. Ein anderes Beispiel: Es gibt innerhalb des Kardinalkollegs drei sogenannte Ordines – also Kardinäle, die Bischöfe, Priester oder Diakone sein konnten. Da Bischöfe eigentlich einen höheren Rang haben als Diakone, stellt sich die Frage, ob auch Kardinal-Bischöfe höher stehen als Kardinal-Diakone. Bereits im 13. Jahrhundert waren diese Unterschiede bis auf einige wenige Fragen zeremonieller Natur weitgehend eingeebnet, aber den genauen Zeitpunkt, zu dem diese Unterscheidung entfiel, kennen wir nicht. Oder nehmen Sie als weitere ungelöste Frage die sogenannten Titel-Kirchen. Folgt die Vergabe von Titelkirchen, von denen jeder Kardinal in Rom eine hatte, bestimmten Kriterien? Oder war das vom Zufall abhängig?

Der Papst – absoluter Souverän, gewählt und beraten von den Kardinälen
Foto: Giuseppe Ruggirello


fundiert: Das alles hinterlässt den Eindruck, als sei die Aufgabe der Kardinäle früher nicht vorrangig die Verbreitung des Glaubens gewesen…

Lützelschwab: Das muss man ganz realistisch sehen: Man konnte zwar im Kardinalat Bilderbuchkarrieren machen, aber es war früher – mit Ausnahmen – nicht immer ein Tummelplatz überragender Intelligenzen mit dezidiert seelsorgerischen Ambitionen. Größtenteils waren es eben doch Leute, die sich in der Verwaltung bewährt hatten, und sie mussten den Moloch Kurie mit seinen Gerichten und der Finanzverwaltung am Laufen halten. Für diese Gebiete waren sie Fachleute – nicht aber Experten der Theologie. Natürlich gab es auch hochkarätige Theologen, doch kennen wir eben auch Beispiele, aus denen deutlich wird, dass einige Mitglieder des Kollegiums Mühe damit hatten, sich korrekt auf Latein zu artikulieren. Man muss sich bei den damaligen Kardinälen auch immer anschauen, was sie überhaupt studiert haben. Meist verfügten sie nur über Grundkenntnisse in Theologie, und nur wenige hatten den prestigeträchtigen Grad des Doktors der Theologie erreicht oder angestrebt.

fundiert: Ist die Rolle der Kardinäle heute klar festgelegt oder noch ähnlich unscharf wie zur damaligen Zeit?

Lützelschwab: Man versucht heute eher, den Schwerpunkt auf die Kollegialität zu legen – nicht nur innerhalb des Kollegiums, sondern auch gegenüber dem Papst. Es geht zwar nicht so weit, dass man den Papst als „primus inter pares“ bezeichnen würde, aber die hierarchische Abstufung wird nicht mehr so deutlich gemacht. Sie existiert aber nach wie vor: Der Papst ist absoluter Souverän. Bis heute sind die Kardinäle auch die vornehmsten Berater des Papstes.

fundiert: Sie hielten vor Kurzem in München die Eröffnungsveranstaltung des wissenschaftlichen Netzwerks. Was sind jetzt die ersten Arbeitsschritte?

Lützelschwab: Zunächst hat jeder seine bisherige Arbeit vorgestellt und erklärt, wo die eigenen Schwerpunkte liegen, was in Zukunft zu leisten ist und wie man die eigene Arbeit sinnvoll in das Projekt einbringen will. Derzeit geht es darum, die verschiedenen Jahrhunderte zu diskutieren und zu klären, wer für welches zuständig ist und wer innerhalb eines Jahrhunderts sich eines Themas annimmt. Beim nächsten Treffen in Berlin steht dann der Themenkomplex „Monarchie versus Oligarchie“ im Vordergrund. Jeder wird aus seiner Sicht dazu Stellung nehmen, und gemeinsam werden wir die Ergebnisse diskutieren. Das wiederum bildet die Grundlage für einen Teil des geplanten Handbuchs. Das Handbuch ist so etwas wie die Quintessenz der insgesamt sechs Treffen, die wir innerhalb unseres Projekts geplant haben.

fundiert: Am Ende des Projekts wird zusätzlich ein Sammelband vorgestellt. Was wird er beinhalten?

Lützelschwab: Der Sammelband wird die Abschlusstagung unseres Projekts dokumentieren – also in drei Jahren. Darin werden natürlich zum einen die Mitglieder unseres Forschungsprojekts ihre Arbeit vorstellen. Zum anderen werden wir zu unserer Abschlusstagung auch externe Forscher einladen, die sich in ihren eigenen Projekten ebenfalls mit dem Kardinalat beschäftigen, ihre Arbeiten zu diesem Thema vorzustellen. All das fließt in den Sammelband ein.

fundiert: Dieser Sammelband kommt doch sicher in den Bestand des Vatikans …

Lützelschwab: Klar – das schenken wir der Vatikanischen Bibliothek! Wir haben ja auch deren Bestände für die Forschung genutzt, also hat der Vatikan auch ein Anrecht, die Forschungsergebnisse an die Hand zu bekommen.

fundiert: Vielen Dank für das Interview.
Das Interview führte Bernd Wannenmacher.


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