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Dicke Luft

Arbeitsmedizin als Verbesserer der Luftqualität

Von David Groneberg

Saubere Luft ist einer der wesentlichen Grundpfeiler der menschlichen Gesundheit, und sie wird täglich durch notwendige Arbeitsprozesse in Mitleidenschaft gezogen. Die Luftqualität spielt nicht nur eine wesentliche Rolle für den Atemtrakt des Menschen, sondern beeinflusst den gesamten Organismus. Luftreinhaltung ist sowohl für die Außenluft als auch für die Innenraumluft wichtig, und es gibt momentan eine gesellschaftspolitische Diskussion über Grenzwerte und Richtlinien zur Luftreinhaltung. Da nach wie vor ein Mangel an Kenntnissen über biologische Effekte einzelner Luftschadstoffklassen herrscht, wird diese Diskussion teilweise leider nicht auf der Grundlage objektiver wissenschaftlicher Befunde geführt.

Hier kann die Arbeitsmedizin helfen. Als Fachdisziplin befasst sie sich einerseits mit der Untersuchung, Bewertung, Begutachtung und dem Einfluss der Wechselbeziehungen zwischen Anforderungen, Bedingungen und Organisation der Arbeit. Andererseits beschäftigt sie sich auch mit dem Menschen, seiner Gesundheit, seiner Arbeits- und Beschäftigungsfähigkeit und seinen Krankheiten. Ein wesentlicher Bereich innerhalb der Vielzahl berufs- und umweltbedingter Erkrankungen sind Lungenerkrankungen wie die Asbestose oder Silikose, die von Staub oder Fasern induziert werden. Das arbeitsmedizinische Wissen über diese Erkrankungen, das im letzten Jahrhundert gesammelt werden konnte, dient nun dazu, die aktuelle Diskussion über Luftqualität auf einer sachlichen Ebene zu führen. Der Umgang vom Gesetzgeber sowie von der Industrie und Öffentlichkeit mit der Frage der Luftreinhaltung ist ein entscheidendes Kriterium, wobei gesicherte biomedizinische Erkenntnisse beispielsweise aus der Arbeitsmedizin und Toxikologie als Grundlage für Entscheidungsprozesse dienen sollten. Für die Europäische Union wurden schärfere Grenzwerte verabschiedet, die ab 2005 beziehungsweise 2010 eingehalten werden müssen.

Ab spätestens 2010 gelten in der EU schärfere Grenzwerte für die Luftreinhaltung
Foto: European Community

Während der letzten zwanzig Jahre sind in Deutschland bei der Luftreinhaltung wesentliche Fortschritte festzustellen: Industrieanlagen und Kraftwerke wurden umfangreich umgerüstet und mit modernen Filteranlagen ausgestattet, und Gebäudeheizungen wurden auf Fernwärme und Erdgas umgestellt. Im Automobilsektor wurden nach der Einführung von Katalysatoren gewerbliche Fahrzeugflotten und Privatwagen durch abgasärmere Fahrzeugtypen mit umweltfreundlicheren Motoren ersetzt. Diese Maßnahmen führten bereits zu einer erheblichen Verbesserung der Luftqualität.

Das Beispiel der Stadt Berlin verdeutlicht diesen Erfolg: Der Anteil am Luftschadstoff Schwefeldioxid nahm um über 90 Prozent ab. Trotz dieser weit reichenden Verbesserungen besteht nach wie vor ein Optimierungsbedarf. Fächer wie Arbeitsmedizin, Umweltmedizin und Lungenheilkunde können aufgrund gesicherter Kenntnisse in Diskussionen mit der Politik und der Industrie sinnvolle Optimierungen anstoßen. Entscheidend ist dabei die Balance zwischen einem rationalen Umgang mit den Bedürfnissen der Medizin und den notwendigen Bedürfnissen der Wirtschaft.

Meeresaerosole im Brandungsbereich gehören wie der industrielle Feinstaub zu den so genannten Particulate Matter (PM). Ihre biologische Wirkung auf den Körper wird im Gegensatz zu industriellen Abgasen als positiv und gesundheitsförderlich beschrieben
Foto: Groneberg

Momentan wird besonders die Thematik der Belastung durch Schwebstaub/Feinstaub diskutiert. Dazu gehören alle festen und/oder flüssigen Teilchen, die in der Umgebungsluft suspendiert sind. Es gibt sowohl natürliche als auch anthropogene – also vom Menschen verursachte oder erzeugte – Quellen für Feinstaub, die sich jeweils in primäre und sekundäre Quellen unterteilen lassen.

Ortsfeste Quellen wie Müllverbrennungsanlagen, Kraft­werke, Industrieprozesse, Schüttgutumschlag oder Haus­brand werden zu den primären anthropogenen Quellen gezählt. Daneben sind mobile anthropogene Quellen wichtig wie der Straßenverkehr mit Feinstaub aus Abgasen sowie aus dem Abrieb von Reifen, Bremsen und Kupplungsbelägen. Zu den natürlichen Quellen des Feinstaubs gehören Vulkanausbrüche, Waldbrände oder Meeresaerosole. Letztere können bekanntermaßen auch eine positive Wirkung auf die Gesundheit haben. In der aktuellen Diskussion kommt es allerdings oft zu einer unkritischen Vermischung einzelner Quellen und verschiedener Informationen.

Mittelungszeit Grenzwert einzuhalten bis...
24 Stunden 50 µg/m3 PM 10
35 Überschreitungen
1.1.2005
1 Jahr 40 µg/m3 PM 10 1.1.2005
1 Stunde 200 µg/m3 NO2
18 Überschreitungen
1.1.2010
1 Jahr 1 Jahr 40 µg/m3 NO2 1.1.2010

Die Entwicklung der Feinstaubbelastung ging in den letzten Jahrzehnten wesentlich zurück, sodass man heute von einer besseren Luftqualität ausgehen kann – eine Tatsache, die in der aktuellen Diskussion oft verschwiegen wird. Die jährlichen Staubemissionen betrugen vor circa 40 Jahren in der ehemaligen Bundesrepublik und DDR insgesamt noch weit über 3 Millionen Tonnen pro Jahr. Durch den Einsatz von Filteranlangen in Kraftwerken und Industrie wurde vor allem in der Bundesrepublik eine deutliche Minderung erzielt, sodass bis 1990 ein Rückgang der Emissionen um circa 1 Million Tonnen erfolgte: von 1,4 auf 0,4 Millionen Tonnen. In der DDR waren die Gesamtemissionswerte bis zur Wiedervereinigung noch auf einem relativ hohen Niveau von fast 2 Millionen Tonnen. Der Rückgang der Feinstaubemission nach der Wiedervereinigung um 1,6 Millionen Tonnen wurde von 1990 bis 1995 vor allem durch Verbesserungen in den neuen Bundesländern erzielt.

Besonders interessant sind dabei Staubpartikel mit einem Durchmesser von wenigen Nanometern bis zu circa 10 Mikrometern. Dabei umfasst der gängige Parameter PM 10 (Particulate Matter 10) alle diejenigen Partikel, die einen größenselektierenden Filter passieren, der für Referenzpartikel mit einem aerodynamischen Durchmesser von 10 µm (2,5 µm für PM 2,5) eine Abscheidewirksamkeit von 50 Prozent besitzt. Momentan liegen die PM 10-Jahresmittelwerte meist zwischen 20 und 35 µg/m2 und damit unter dem Grenzwert von 40 µg/m2. Im Gegensatz dazu kommt es häufig zu kurzfristigen Tagesmittel-Überschreitungen eines PM 10-Wertes von 50 µg/m2 aufgrund innerstädtisch-lokaler Spitzen bei hohem Verkehrsaufkommen, wobei dies auch der wesentliche auslösende Faktor der aktuellen Feinstaubdiskussion war. Die Automobilindustrie hat diese Problematik erkannt, und der Einbau von Partikelfiltern wird nun forciert. Im Jahr 2008 sollen seitens der deutschen Automobilindustrie alle Dieselfahrzeuge mit Partikelfiltern ausgerüstet werden.

Vor dem Hintergrund eines steten Rückgangs in der Gesamtfeinstaubbelastung über die letzten Jahrzehnte und der angestrebten umfassenden Rußpartikelfilternutzung muss auch auf einen Kosten-Nutzen-Effekt geachtet werden. Es ist sozioökonomisch nicht erstrebenswert, dass minimale Verbesserungen der Luftqualität durch extrem teure neue Technik erkauft werden beziehungsweise restriktive Gesetze zu letztlich großen negativen volkswirtschaftlichen Effekten führen.

Bei den biologischen Effekten des Feinstaubs handelt es sich vor allem um temporäre Beeinträchtigungen wie die Zunahme von Atemwegssymptomen oder ein erhöhter Medikamentenbedarf bei Patienten mit Lungenerkrankungen. Auf der molekularen Ebene sind viele Wirkmechanismen noch ungeklärt, wobei die Atemwegsnerven sensible Messfühler der Luftverschmutzung darstellen.


In vielen Städten leider nötig: der Mundschutz
Foto: European Community

Alle Daten bezüglich einer Zunahme der Sterblichkeit sind letztlich Schätzungen, die auf epidemiologischen Untersuchungen basieren. Wenngleich diese epi­demiologischen Studien prinzipiell keinen klaren Ursache-Wirkung-Zusammenhang beweisen können, so wurden trotzdem quantitative Beziehungen der Konzentrationswirkung abgeleitet. Da bei diesen Untersuchungen annähernd lineare Konzentrationsswirkungs-Beziehungen bestanden, wurde darauf geschlossen, dass nicht nur Konzentrationsspitzenwerte, sondern auch Langzeitspiegel einen ganz wesentlichen Einfluss auf die Gesamtbelastung haben. Dies bedeutet für die aktuelle Diskussion bezüglich des Übertretens von Spitzenwerten an einzelnen Tagen, dass dem Jahresmittelwert vermutlich eine wesentlich größere Bedeutung zukommt als einzelnen Tagesmittelwerten oder Einzelspitzen. Die Einhaltung des Jahresmittelwertes hat sich als wesentlich unproblematischer herausgestellt. Würde die gesellschaftspolitische Diskussion dies berücksichtigen, könnte auf einem wesentlich sachlicheren Niveau diskutiert werden.

Die Berliner Luft lässt sehr gut Rückschlüsse auf den Stand der Realisierung einzelner Richtlinien zu. Dabei wird die Luftqualität der Hauptstadt mittels des Berliner Luftgüte-Messnetzes „BLUME“ gemessen. Das Titelfoto zeigt eine der 21 Messstationen aus einer viel befahrenen Straße im Stadtteil Steglitz. Von den einzelnen Stationen werden die Drei-Minuten-Werte jedes Schadstoffes zur Messzentrale übertragen und dort gesammelt.

Ozon, Stickstoffdioxid, Kohlenmonoxid, Benzol, Schwefeldioxid sowie Ruß und Feinstaub werden regelmäßig gemessen. Es lässt sich feststellen, dass die Qualität der Luft in den letzten Jahren erheblich zugenommen hat durch die Umstellung von Ofenheizungen auf Fernwärme und Gas sowie den Einbau von Filteranlagen in Kraftwerke und die Neuerungen in der Autoindustrie. Auch dies spricht für die positiven Entwicklungen. Allerdings zeigen aktuelle Messwerte auch, dass in verkehrsbelasteten Straßen Spitzenwerte der Luftbelastung nach wie vor überschritten werden.

Es ist abzusehen, dass diese Spitzenwerte nach dem flächendeckenden Einsatz von Rußpartikelfiltern im Jahr 2008 weiterhin reduziert werden. Bezüglich der Diskussion einer Sperrung einzelner Straßen ist offensichtlich, dass diese nur zu einer Verlagerung des Verkehrs führen würde. Bei der Frage nach einer realistischen Vorgehensweise ist auf die Implementierung der Katalysatorentechnik in den 1980er Jahren zu verweisen. Auch hier wurde schrittweise eine neue Technologie eingeführt, die letztlich zu einer Reduktion der Bleibelastung führte. Genauso wie bei der Reduktion der Bleibelastung durch die Katalysatorentechnik ist auch bei der Feinstaubbelastung darauf zu verweisen, dass Autoabgase nicht die einzige Quelle von Luftschadstoffen sind. Im Gegensatz zu anderen Faktoren wie dem Zigarettenrauchen kann auf das Autofahren in unserer Gesellschaft jedoch nicht verzichtet werden. Insofern wird auch durch den Einsatz verbesserter Technik zur Schadstoffreduktion seitens der Automobilindustrie die Exposition nie ganz vermeidbar sein. Dies muss bei der Diskussion der Thematik berücksichtigt werden.

Es herrscht eine Notwendigkeit für neue nationale und internationale Fördermöglichkeiten zur Erforschung der biologischen Effekte von Luftschadstoffen. Diesbezüglich sind nach wie vor noch viele offene Fragen vorhanden. Stellvertretend für andere deutsche Städte hat sich die Hauptstadt Berlin gemeinsam mit weiteren europäischen Großstädten wie Paris, Rom, Rotterdam, Leicester und Prag an dem europäischen Projekt HEAVEN (Healthier Environment through Abatement of Vehicle Emissions and Noise) beteiligt. Dieses Projekt lässt eine vergleichende Analyse der Luftqualität zu. Die Bewertung der Qualität der Berliner Luft orientiert sich an Grenz- und Richtwerten aus Richtlinien der Europäischen Union und aus Verordnungen und Verwaltungsvorschriften zum Bundesimmissionsschutzgesetz. In einem praktischen Modellversuch wird getestet, wie wirksam die Umwelt durch verschiedene Arten der Verkehrslenkung verbessert werden kann, wobei ein als hoch belastet eingestuftes Testgebiet ausgewählt wurde.

Das Senken von Schadstoffausstoß ist eine der wichtigsten Aufgaben der Zukunft
Foto: Groneberg

Langfristig wird es darauf ankommen, den Schadstoffausstoß aus Industrieanlagen, Kraftwerken, Verkehr und privaten Haushalten zu reduzieren, ohne dabei Kosten und Nutzen aus den Augen zu verlieren. Die bisherigen Maßnahmen haben bereits zu wesentlichen Verbesserungen geführt. Ein weiteres Beispiel für eine realistische Annäherung neben dem Einsatz von Partikelfiltern ist die Umstellung der Dieselkraftstoff-Qualität auf die ab 2005 in der EU vorgeschriebene Qualität. Darüber hinaus ist es wichtig, dass ältere Fahrzeuge mittelfristig durch neuere, nach strikteren EU-Normen ausgestattete Fahrzeugen ersetzt werden.

Literatur

Brunekreef B, Holgate ST. Air pollution and health. Lancet 2002; 360: 1233–1242

American Thoracic Society. What constitutes an adverse health effect of air pollution? Official statement of the American Thoracic Society. Am J Respir Crit Care Med 2000; 161: 665–673

Groneberg DA, Witt C.
Luftqualität und Feinstaubbelastung. Pneumologie 2005; 59: 607–611

Bundesumweltamt. Hintergrundpapier zum Thema Staub/Feinstaub (PM). Berlin 2005

Samet JM, Dominici F, Curriero FC et al. Fine particulate air pollution and mortality in 20 U.S. cities, 1987–1994. N Engl J Med 2000; 343: 1742–1749

Dockery DW, Pope CA 3rd, Xu X et al. An association between air pollution and mortality in six U.S. cities. N Engl J Med 1993; 329: 1753–1759

Valent F, Little D, Bertollini R et al. Burden of disease attributable to selected environmental factors and injury among children and adolescents in Europe. Lancet 2004; 363: 2032–2039

Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin,
http://www.stadtentwicklung.berlin.de/umwelt/luftqualitaet/

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