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Work-Life-Balance

Zum Wandel des Verhältnisses von Berufs- und Privatleben bei Frauen und Männern

Von Ernst-H. Hoff

„The long arm of the job”– so lautet der berühmte Titel einer Studie aus der früheren Forschung zu Arbeit und Freizeit vor 35 Jahren. Darin ging es um die Zeitbudgets und Tätigkeitsinhalte von Arbeitern aus der Holz verarbeitenden Industrie in Kanada. Mit dem Titel war Folgendes gemeint: Trotz der klaren Abgrenzung und Verschiedenartigkeit der Lebensbereiche blieb die Arbeit nicht hinter dem Fabriktor zurück, sondern prägte auch das Denken, Fühlen und Handeln in der freien Zeit. Je restriktiver und anspruchsloser die Arbeitstätigkeiten auf Dauer waren, desto passiver, intellektuell und emotional ärmer waren auch die Freizeittätigkeiten. Neben solche Studien zu Arbeit und Freizeit traten später immer häufiger Studien zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie bei Frauen.

Seit der Jahrtausendwende mehren sich nun Studien zur Work-Life-Balance. Dieser Begriff wird zum Beispiel auf dem Titelblatt der 2002 erschienenen deutschen Ausgabe eines besonders populären Buches genannt – und dessen Originaltitel lautet: „The time bind: when work becomes home and home becomes work.“ Hier handelt es sich um Interviews mit Frauen und Männern, die in einem US-amerikanischen Unternehmen arbeiten. Die befragten Mitarbeiter berichten dort von einer Gefährdung der „Balance“ und vom Verschwinden der Grenzen zwischen der Arbeit und Zuhause.

Warum aber wurde in der Forschung zunächst das Verhältnis von „Arbeit und Freizeit“, später das von „Beruf und Familie“ und schließlich die „Work-Life-Balance“ thematisiert? Welche Veränderungen der Arbeitsgesellschaft spiegeln sich in diesen verschiedenen Begriffen und Forschungsperspektiven wider? Wie haben sich mit dem Wandel in der Arbeitswelt auch die Bedeutungen der Lebensbereiche und die Bezüge zwischen ihnen gewandelt?

Die große IT-Blase platzte Ende der 1990er. Übrig geblieben ist aber beispielsweise der wachsende Bereich des E-Commerce
Foto: European Community

Die Forschung zu Arbeit und Freizeit entstand in der Industriegesellschaft der fünfziger- bis siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts, als der höchste Anteil aller Erwerbstätigen im industriellen Sektor beschäftigt war. Dort waren die Arbeitszeiten klar geregelt, es wurde eine Grenze zwischen Arbeits- und Freizeit gezogen, und beide Sphären hatten eine konträre Bedeutung. Diese Abgrenzung hatte schon viel früher im Zuge der Industrialisierung eingesetzt und ließ beide Bereiche als völlig eigenständig erscheinen. Tatsächlich entwickelte sich jedoch die Bedeutung jeder Sphäre für die Menschen mit einem derart geteilten Alltag nicht allein für sich, sondern immer in Relation zu derjenigen des anderen Lebensbereichs. In dem Maße, wie sich das Verständnis von Freiheit und individueller Autonomie bereits im 19. Jahrhundert nicht mehr mit Arbeit im Sinne von industrieller Lohnarbeit vereinbaren ließ, verband es sich mit dem damals erst entstehenden modernen Begriff der Freizeit. Freiheit von den entfremdeten Formen der Erwerbsarbeit wurde immer wichtiger, und als „frei“ galt vor allem die Zeit außerhalb der vertraglich geregelten Arbeitszeit. Während die wöchentliche Arbeitszeit Mitte des 19. Jahrhunderts für Industriearbeiter über 80 Stunden betrug, ist sie für die Mehrzahl der Arbeitnehmer heute auf weniger als die Hälfte gesunken. Gleichwohl hat sich das Verständnis der Segmentation zweier Haupt­lebensbereiche dort noch bis heute erhalten, wo die Erwerbsarbeit zeitlich und räumlich strikt gegenüber allen anderen Tätigkeiten mit größeren Handlungsspielräumen abgegrenzt wird.

Arbeit und Freizeit

Die Fragestellungen, Thesen und Befunde der früheren Forschung zu Arbeit und Freizeit erscheinen durchaus aktuell, wenn man sie differenzierter auf Frauen und Männer in spezifischen Berufen bezieht. Drei Thesen stehen dabei im Mittelpunkt. Die These der Generalisation beziehungsweise des Spill-Overs besagt, dass der „lange Arm der Arbeit“ im positiven wie im negativen Sinne das Privatleben beeinflusst. Umgekehrt kann aber auch der „lange Arm des Privatlebens“ auf das Berufsleben übergreifen. Ergebnisse empirischer Studien sprechen für eine permanente Wechselwirkung beider Hauptlebensbereiche im Lebenslauf. Den negativen Erfahrungen, den Belastungen und Konflikten im einen Bereich werden allerdings ebenfalls häufig positive Erfahrungen im anderen Bereich entgegengesetzt. Darauf richtet sich die zweite These einer „Kompensation“. Die dritte These einer „Segmentation“ beziehungsweise „Neutralität“ betrifft schließlich den Versuch, das eigene Denken, Fühlen und Handeln im Berufs- und Privatleben strikt voneinander zu trennen und sich quasi in eine Berufs- und in eine Privatperson aufzuspalten. Dies lässt sich auch als Bewältigungsstrategie angesichts des ständig drohenden wechselseitigen Transfers negativer Erfahrungen von einem in den anderen Bereich interpretieren.

Seit in den achtziger Jahren der Anteil der Erwerbstätigen im Dienstleistungssektor gegenüber demjenigen im industriellen Sektor immer mehr anstieg, wurde zunehmend nicht mehr von der Industriegesellschaft, sondern von der Dienstleistungsgesellschaft gesprochen. Das Schlagwort von der Kommunikations- und Informationsgesellschaft verweist schließlich auf die neuen Technologien und auf den in den neunziger Jahren besonders rapiden Anstieg der wirtschaftlichen Leistungen und der Beschäftigtenzahlen im so genannten IT-Bereich mit großen, aber auch mit einer Fülle sehr kleiner Unternehmen der „new economy“.

Damit verschob und erweiterte sich das Spektrum der Tätigkeitsfelder: Berufe und Beschäftigungsverhältnisse wandelten sich von der Hand- hin zu Kopfarbeit, von physisch belastender Arbeit hin zu Berufstätigkeiten mit stärker intellektuellen und psychischen Anforderungen, von abhängiger Beschäftigung im „Normal-Arbeitsverhältnis“ hin zu Teilzeitarbeit, Selbständigkeit und/oder Freiberuflichkeit. Damit bestimmten nun zugleich die Forderungen nach Autonomie, Selbstverantwortung und Selbstverwirklichung auch wieder stärker die Erwerbsarbeit, während komplementär dazu in der Freizeit immer mehr Zwänge und Pflichten in den Blick gerieten.

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts kann man bei manchen Gruppen von Erwerbstätigen fast schon von einer Auflösung der Segmentation sprechen. Nämlich dort, wo immer flexiblere Regelungen der Arbeitszeiten, des Arbeitsplatzes sowie der Inhalte und Formen der Arbeit – zum Beispiel bei der Telearbeit – individuelle Autonomie voraussetzen und erfordern. Man kann geradezu von einem Zwang zur Autonomie in der Arbeitswelt sprechen. Das gilt in ähnlicher Weise für die Freizeit, die entsprechend häufig auch als „Arbeit“ der Person an sich selbst, zum Beispiel am eigenen Körper, empfunden wird, und in der Zwänge und Möglichkeiten der freien Auswahl, zum Beispiel von Medienangeboten zugleich zunehmen.

Die „Entgrenzung“ der Lebenssphären und die Auflösung klarer zeiträumlicher Grenzen zwischen ihnen erzwingen schließlich einen neuartigen Typus von autonomen Leistungen der Koordination und Integration: Die Tätigkeiten im Tages-, Wochen- und Jahresablauf müssen kognitiv aufeinander bezogen, auf Wechselwirkungen und Prioritäten hin überprüft, zeiträumlich geplant und mit Partnern ausgehandelt werden. Auch dabei verbindet sich die Erfahrung von Zwang mit der von Freiheit.

Mit dem konträren Verständnis von Arbeit als Erwerbsarbeit und der davon freien Zeit blendete man in der Arbeit-Freizeit-Forschung lange Zeit die Probleme jener Frauen aus, die neben ihrer Erwerbstätigkeit für die unbezahlte Arbeit in Haushalt und Familie zuständig waren und sind.

Eine mögliche Erklärung für diesen blinden Fleck in der Forschung und im öffentlichen Bewusstsein zur Zeit der Industriegesellschaft liefert eine Studie mit dem bezeichnenden Titel „Der unentdeckte Wandel". Darin wird auf die früher in Wissenschaft und Alltag als selbstverständlich geltende Annahme hingewiesen, dass Frauen generell familienorientiert seien. Deshalb würden sie nach einer ersten Phase der Erwerbstätigkeit in die zweite Phase des Familienlebens eintreten, damit ganz aus dem Erwerbsleben aussteigen oder allenfalls in einer dritten Phase, wenn die Kinder aus dem Hause seien, wieder in die Erwerbstätigkeit einsteigen. Die in dieser Studie empirisch untersuchten Lebenswege älterer Frauen, deren Berufstätigkeit schon in den fünfziger Jahren begonnen hatte, bestanden jedoch keineswegs nur aus zwei oder drei Phasen im Erwachsenenalter.

Die Schuhe einfach mal an den Nagel hängen? Nicht in der heutigen Freizeitgesellschaft
Foto: Photocase

Die Verläufe waren oft weitaus diskontinuierlicher als erwartet, es gab lange Phasen der Gleichzeitigkeit von Beruf und Familie und selbst in den Phasen ohne Erwerbstätigkeit blieb für diese Frauen eine Berufs- neben der Familienorientierung für ihr Leben leitend. Gleichwohl hielten sie auch selbst die Ausrichtung des Lebens auf die Familie für die allgemein gültige Norm, von der das eigene Leben abwich. Die Doppelorientierung an Familie und Beruf wurde zwar „gelebt“ und im Handeln realisiert, aber noch keineswegs bewusst als normatives Leitbild vertreten. Hier liegt der entscheidende Unterschied zu den folgenden Generationen von Frauen: Die Studien aus den neunziger Jahren zeigen übereinstimmend, dass eine solche Doppelorientierung an Beruf und Familie inzwischen für junge Frauen als normal gilt und sehr bewusst der eigenen Lebensplanung zugrunde gelegt wird.

Doppelorientierung, Doppelbelastung, Doppelgewinn, doppelte Sozialisation – das sind bis heute die zentralen Themen der Forschung zur Vereinbarkeit von Beruf und Familie im Alltag sowie im Lebenslauf von Frauen. Den Hintergrund dafür bilden folgende zwei Entwicklungen: Erstens ist die Frauenerwerbsquote seit Jahrzehnten stetig – wenngleich zunächst unterschiedlich in beiden Teilen Deutschlands bis auf heute fast 70 Prozent angestiegen, wobei der Anteil von Frauen in der Altersphase, in der die Kinder geboren werden und heranwachsen, sowie von Frauen in hoch qualifizierten Berufen am stärksten zugenommen hat. Zweitens haben sich bei jungen Männern zwar die Einstellungen in Richtung auf eine stärker egalitäre Arbeitsteilung in Haushalt und Familie verändert, aber mit der Geburt eines Kindes kommt es bis heute zumeist zur traditionalen Rollenaufteilung. Wenn sie sich dann stärker auf den Beruf und wenn sich die Frauen stärker auf die Familien konzentrieren, so liegt dies oft weniger an persönlichen Strebungen als vielmehr an den gesellschaftlichen und organisationalen Strukturen, die eine solche Arbeitsteilung begünstigen.

Frauen tragen also in der Regel weiterhin die Hauptlast der Haus- und Familienarbeit. Der Versuch, Beruf und Familie zu vereinbaren, gelingt oft nur durch Teilzeitarbeit und das Unterbrechen der Berufswege im Anschluss an die Geburt von Kindern – nach wie vor Gründe dafür, dass Frauen seltener in die „lukrativen“ Berufsfelder und in Leitungspositionen gelangen.

Sudien

Aus der Fülle von Studien zu erwerbstätigen Frauen mit Familie sei nur ein Befund herausgegriffen, der erstmals in einer Untersuchung von Fabrikarbeiterinnen berichtet wurde, der aber in einer Vielzahl späterer Studien ebenso bei Frauen in hoch qualifizierten Berufen sowie in Führungspositionen ins Auge fällt: Beide Lebensbereiche (und Lebensstränge) werden nicht allein für sich, sondern auch aus der Perspektive des jeweils anderen Bereiches bewertet und im Denken, Fühlen und Handeln ständig wechselseitig aufeinander bezogen. Beide Sphären und ihr Verhältnis zueinander erscheinen subjektiv als ambivalent, so dass man nicht eindeutig von einer Doppelbelastung oder von einem Doppelgewinn sprechen kann, sondern eher von beidem zugleich.

In den letzten Jahren ist immer häufiger von Work-Life-Balance die Rede, nicht nur in der sozialwissenschaftlichen Forschung, sondern auch im alltäglichen Sprachgebrauch und in der Unternehmenspraxis. Dabei erscheint die Gegenüberstellung von „work“ und „life“ ähnlich fragwürdig wie die frühere von (Erwerbs-)Arbeit und Freizeit. Denn dadurch wird in irreführender Weise suggeriert, dass das eigentliche Leben, in dem Personen Sinnerfüllung und Selbstverwirklichung suchen, nur außerhalb der Erwerbsarbeit stattfindet. Dagegen sprechen jedoch die Studien zur Work-Life-Balance. Wichtiger erscheint, dass im Begriff der „Balance“ ein allgemeines Leitbild für beide Geschlechter zum Ausdruck kommt. Die Metapher der Waage spielt hier eine Rolle, bei der eine der beiden Waagschalen ein Zuviel oder Zuwenig an subjektivem Gewicht, an beruflichen beziehungsweise privaten persönlichen Strebungen und Aktivitäten beinhaltet. Dazwischen gibt es eine „­Mitte“ und die Vorstellung eines „guten“ beziehungsweise „gelungenen“ Lebens in dieser Mitte zwischen extremen, einander entgegengesetzten Strebungen und Handlungsweisen zieht sich durch die Geschichte der praktischen Philosophie. Zentral im Zusammenhang mit dieser Vorstellung ist, dass jeder Mensch selbst für die Gestaltung seines Lebens, für dessen „Gelingen“ verantwortlich ist. Die „Mitte“ oder „Balance“ zwischen dem Berufs- und dem Privatleben muss also individuell-autonom und nach Maßgabe der subjektiven Strebungen und Lebensziele in beiden Sphären hergestellt werden.

Die Konjunktur des Begriffs Work-Life-Balance geht mit einer Entwicklung in der Arbeitswelt einher, die auch als „Subjektivierung von Arbeit“ beschrieben wird: Während man früher, in der industriellen Produktion und im Zeichen von Taylorismus und Fordismus, versuchte, individuelle Eigenheiten aus den standardisierten Arbeitsvollzügen herauszuhalten, erscheinen sie heute oft unverzichtbar. Erwerbstätige Erwachsene sehen sich gerade im Zuge einer zunehmenden Vermarktlichung aller Organisationen und Institutionen mit der Forderung konfrontiert, möglichst alle persönlichen Ressourcen, Kompetenzen und Strebungen in den Dienst einer autonom und selbstverantwortlich zu verrichtenden Arbeit zu stellen. Dies bedeutet auch, dass sie oft nicht mehr eindeutig zwischen ihren Rollen als Berufs- und Privatperson trennen können, sondern sich als ganze Person in die Arbeit einbringen müssen – oder auch wollen. Mit der Subjektivierung von Arbeit verbindet sich also die zuvor genannte scheinbare Paradoxie des Zwanges zur Autonomie sowie eine zeitliche, räumliche, inhaltliche und soziale „Entgrenzung“ der Lebenssphären, die unter Umständen auf jene extrem arbeitszentrierte Lebensgestaltung hinauslaufen kann, wie sie im eingangs genannten Titel „when work becomes home and home becomes work“ zum Ausdruck kommt. Work-Life-Balance mag zwar für immer mehr erwerbstätige Erwachsene in postindustriellen Gesellschaften als erstrebenswert gelten, sie erscheint aber immer schwieriger realisierbar zu sein. Vielleicht wird dieser Begriff gerade deshalb immer populärer.

Frauen tragen in fast allen Fällen die Hauptlast der Haus- und Familienarbeit
Foto: photocase

Formen einer extrem arbeitszentrierten Lebensgestaltung passen zwar zu den Imperativen des Marktes und zu besonders innovationsträchtigen Bereichen in der Arbeitswelt. Sie werden angesichts einer vielfach unsicheren beruflichen Zukunft erzwungen und zugleich subjektiv bejaht. Sie lassen sich jedoch schwerlich mit Kindern durchhalten.

Einige Fragen erscheinen mit Blick auf die sinkende Geburtenrate gerade bei hoch qualifizierten jungen Frauen und Männern brisant: Bedeutet ein gemeinsames Leben zweier arbeitszentrierter Partner in „Doppelkarrierepaaren“ nicht häufig den Verzicht auf Kinder? In welchem Maße etablieren sich neben der traditionellen Arbeitsteilung – bei der nur der Mann sehr arbeitszentriert bleibt, weil ihm die Partnerin zu Hause den Rücken freihält – neue partnerschaftliche Lebensformen der Integration, bei der beide Partner egalitär versuchen, zwei berufliche Karrieren und die Familie „unter einen Hut“ zu bringen? Solche Fragen werden in Zukunft für eine Forschung im Schnittpunkt von Psychologie und anderen Fächern zentral. Nicht nur die Balanceleistungen von Frauen und Männern werden dabei im Mittelpunkt stehen, sondern auch die von Paaren. Eine solche Forschung stellt Antworten auf diese Fragen für die Praxis bereit – zum Beispiel für Ansätze des Diversity Managements, der Arbeitsgestaltung oder der Personalentwicklung.

Work-Life-Balance

In der Forschung zu Work-Life-Balance geht es um den subjektiven Umgang mit beruflicher und privater Zeit, um die Koordination der Lebensbereiche, um persönliche Ziele und um Konflikte im Spannungsfeld von Beruf und Familie. Zum Schluss sollen hier Befunde aus zwei Forschungsprojekten an der Freien Universität Berlin angeführt werden. In einem ersten Projekt zeigte sich bei Angehörigen akademischer Professionen im Alter zwischen 40 und 50 Jahren, dass Männer und Frauen beide Lebenssphären zwar für gleich wichtig halten. Aber entgegen dieser allgemeinen Einstellung hat der Beruf für Männer auf der Ebene des alltäglichen und des biographisch bedeutsamen Handelns sehr häufig Priorität. Als Lebensgestaltung überwiegt bei den Männern eine klare Segmentation der beruflichen und privaten beziehungsweise familiären Ziele und Handlungsstränge, die ohne gegenseitige Störung nebeneinander herlaufen. Bei den Frauen kommt es dagegen häufiger zu Konflikten zwischen den Zielen und Handlungssträngen und ihre Lebensgestaltung der Integration richtet sich auf Konfliktbewältigung im Sinne einer permanenten Balance. Allerdings kann man bereits bei einem Teil der Männer auch umgekehrt Formen der Integration und bei einem Teil der Frauen Formen der Segmentation feststellen. Weiter fällt eine Vielfalt von Varianten der Balance ins Auge. Besonders auffällig sind schließlich neuartige Formen der Entgrenzung, wie sie in einem zweiten Forschungsprojekt bei jungen Frauen und Männern in kleinen, neu gegründeten IT-Firmen untersucht worden sind: Hier verschmelzen berufliche mit privaten Zielen und Handlungssträngen – oder das Privatleben wird völlig von der Arbeit „verschluckt“.

Literatur

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