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Countering Modern Terrorism

Weshalb ist Prävention von zentraler Bedeutung?

Von Rudolf Adam

Ein erfolgreicher Terroranschlag ist in sich schon ein Sieg für Terroristen. Im militärischen Sinn kann jedoch nicht von einem Sieg gesprochen werden: Al Qaida wird weder die USA noch Europa erobern und unterwerfen können. Terror zielt auf psychologische Zermürbung. Der Präsident der Bundesakademie für Sicherheitspolitik, Rudolf Adam, erklärt in seinem Gastbeitrag die Taktik der Terroristen. Sie verfolgen eine Strategie der Ermattung und der Polarisierung, um die eigene Schwäche mit der Verwundbarkeit des Gegners zu kompensieren.
Es ist auch gar nicht das Ziel des Terrors, zu erobern oder zu unterwerfen. Das Ziel ist vielmehr, einen psychologischen Wahrnehmungs- und Gefühlsprozess in Gang zu setzen, der zu einer Verschiebung der Gewichte und damit der Einflusssphären führt. Es ist eine Schlacht um Köpfe und Gefühle, um Ideen und Werte – nicht um Territorium oder Wirtschaftsressourcen wie sie klassischen militärischen Strategien zugrunde liegen. Vier Aspekte aus Usama bin Ladens prozessualen Ansatz sind deutlich erkennbar:

1. Er will den Selbstbehauptungswillen des Westens untergraben. Sein Ziel ist Einschüchterung, Selbstzweifel und Verunsicherung. Das Gefühl, einem übermächtigen, unbekannten Gegner ausgeliefert zu sein, der jederzeit, überall, ohne erkennbare Begründung oder Zielauswahl zuschlagen und Tod und Schrecken verbreiten kann. Der Sieg ist daher nicht auf dem Schlachtfeld zu gewinnen, sondern in den Parlamenten und in den öffentlichen Debatten innerhalb der westlichen Gesellschaften.

2. Al Qaida will provozieren und polarisieren. Einerseits sollen durch das Gefühl der Unbesiegbarkeit Sympathisanten und Unterstützer gewonnen werden. Andererseits soll der Westen dämonisiert werden. Das Kalkül: Der Westen werde durch Überreaktion sich selbst diskreditieren und seine moralische Glaubwürdigkeit zerstören. Deshalb sind die Vorgänge in Abu Ghraib von solch enormer Bedeutung: Sie vertiefen in der arabischen Welt den Eindruck, dass der Anspruch der westlichen Welt, für zivilisatorisch überlegene Werte einzustehen, hohl und verlogen sei. In diesem Kampf sind Perzeptionen und Gefühle viel wichtiger als materielle Realitäten.

3. Al Qaida plant keine Einzelaktionen, sondern den kumulativen psychologischen Effekt von Serien. Vordergründig ist der materielle Schaden bei vier Einzel-attentaten nicht größer als bei vier synchronisierten. Auf der psychologischen Ebene aber erzeugt die generalstabsmäßige Koordination solcher Schreckensereignisse ein Stimmungsklima der Einschüchterung, der Hilflosigkeit, des Ausgeliefertseins. Umgekehrt wird in der arabisch-islamischen Welt ein Stimmungsklima der Unbesiegbarkeit, des Triumphes und der Siegeszuversicht erzeugt. Usama bin Laden zielt auf einen Bewusstseinswandel in der Welt, auf eine terroristische levée en masse in der islamischen Welt. Er will den clash of civilisations provozieren – durch Polarisierung und das Schüren von Vorurteilen.

4. Al Qaida hat die Ökonomie des Terrors entdeckt: Die Anschläge in New York und Washington vom 11. September haben maximal zwei Millionen US-Dollar gekostet. Der durch sie ausgelöste volkswirtschaftliche Gesamtschaden wird auf etwa 70 Milliarden US-Dollar geschätzt – eine Hebelwirkung von 1 zu 35.000. Betrachtet man Selbstmordattentate mit wissenschaftlich-nüchterner Emotionslosigkeit, sind sie eine rationale Taktik für diejenigen, die aus einer Gemeinschaft mit hohem Bevölkerungswachstum gegen eine Gemeinschaft mit schrumpfender Bevölkerung ankämpfen. Authentische Äußerungen von Usama bin Laden und aus seinem Umkreis legen dar, dass diese Terrorökonomie dort nicht unbekannt ist.


Trotz strikter Kontrollen ist eine vollständige Sicherheit – auch im Flugverkehr – nicht gewährleistet
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Deshalb ist jeder erfolgreiche Terroranschlag einer zu viel. „We only have to be successful once, but you have to be lucky all the time.“ Das ist ein oft zitierter Satz der IRA aus dem Nordirland-Konflikt. Gegen zum Selbstmord entschlossene Terroristen versagen klassische Abschreckungsinstrumente. Einer Tat zuvorkommen heißt, sie einerseits zu antizipieren, mögliche Täter und mögliche Ziele im Voraus benennen zu können. Es heißt andererseits aber auch, immer aufgrund von Vermutungen, Hypothesen, Szenarien zu operieren – also in einem Umfeld mit hoher Ungewissheit.

Prävention setzt Aufklärung voraus: Aufklärung über potentielle Täter, ihre Motive, ihre Vorgehensweise, ihre Zielauswahlkriterien und eventuell konkrete Anschlagsvorbereitungen. Die Aufklärung wird umso besser sein, je stärker die entsprechenden Kapazitäten weltweit vernetzt werden und kooperieren. Die Herausforderung ist global, deshalb kann auch die Antwort letztlich nur global gegeben werden. Doch was heißt Prävention nun konkret? Terror lebt von unserer Verwundbarkeit. Also muss der Westen, und damit auch Deutschland, seine Verwundbarkeiten identifizieren und minimieren. Die Bundesregierung hat nach dem 11. September in einer groß angelegten Aktion sämtliche Infrastrukturbereiche einer solchen Prüfung unterzogen und entsprechende Maßnahmen getroffen. Die verstärkten Sicherheitsvorkehrungen an Flughäfen, die verstärkte Bewachung amerikanischer, israelischer und britischer Institutionen gehören dazu. Das Ziel muss sein: Sicherheitsvorkehrungen zu optimieren, nicht zu maximieren. Sicherheit – das sind die Dämme, die wir gegen Gefahrenfluten aufwerfen. Und wir sind gut beraten, den Terroristen so viel Geduld und Intelligenz zu unterstellen, dass sie die Stellen relativ schnell und zuverlässig finden, an denen die Dämme am schwächsten sind.

Wir müssen deshalb Systeme als Ganzes betrachten und sollten uns nicht auf den sichtbaren Sektor konzentrieren: Passagierkontrollen beispielsweise machen im sichtbaren Sektor nur dann Sinn, wenn auch Gepäck und Fracht im unsichtbaren Sektor ebenso stringent kontrolliert werden.

Es gibt keine hundertprozentige Sicherheit. Doch man kann das Anschlagsrisiko reduzieren, es aber nicht eliminieren. Offene, mobile, global vernetzte Gesellschaften wie die unsere bleiben verwundbar. Wir können nicht die Flughafenkontrollen auf alle Bahnhöfe, Kinos, Konzert- und Theatersäle, Einkaufszentren und Weihnachtsmärkte ausweiten.


In der Bundesakademie für Sicherheitspolitik diskutieren Experten sicherheitsrelevante Fragen
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Weil es die hundertprozentige Sicherheit nicht geben kann, muss trotz allen Vertrauens in die Abwehrfähigkeiten damit gerechnet werden, dass irgendwann ein katastrophaler Anschlag gelingt – der „worst case“. Schon die statistische Wahrscheinlichkeit spricht dafür. Die Gefährdung durch eine militant-fundamentalistische Jihad-Ideologie wird noch auf Jahre hinaus bestehen. Damit wächst die statistische Wahrscheinlichkeit, dass wir eben nicht, wie die IRA meinte, „lucky all the times“ sein können. Wir müssen deshalb Anschlagsrisiken analysieren und entsprechende Vorkehrungen treffen. Auch hier gilt: Wir können unmöglich auf alle Szenarien maximal vorbereitet sein. Was immer wir an gesicherten Erkenntnissen über Zielauswahlkriterien, Vorgehensweisen und konspirative Strukturen gewinnen können, dient als Grundlage für Planungen und Vorbereitungen dafür, wie die Wirkungen eines Anschlags eingedämmt und bewältigt werden können. Experten in Katastrophenhilfe und Bevölkerungsschutz müssen wissen, was zu tun und zu beachten ist. Sie müssen realitätsnah üben und trainieren. Sie müssen hinreichend ausgerüstet sein, um auch unkonventionelle Szenarien bewältigen zu können. Wir können im europäischen Verbund planen; einige Mitgliedstaaten können und sollten Spezialfähigkeiten entwickeln und pflegen, die sie im Ernstfall anderen zur Verfügung stellen. Der Verfassungsvertrag sieht diese innergemeinschaftliche Solidarität ausdrücklich vor. Nicht jeder wird überall alles können. Im einheitlichen Raum der Sicherheit, der Freiheit und des Rechts wird es ohnehin keinen Raum für nationale Alleingänge geben.

Wichtig bleibt, dass die Aufklärung ein realistisches Bild von Fähigkeiten und Absichten der Terroristen behält. Wir müssen uns dem annähern, was Terroristen denken, wir müssen ihre Planungen antizipieren lernen. Auch dem Terror wohnt eine Eskalationslogik inne. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis es zum Einsatz von unkonventionellen Waffen kommt, der so genannten schmutzigen Bombe. Diese unkonventionelle Dimension verleiht der Prävention eine zusätzliche Dringlichkeit. Bislang haben wir derartige Gefahren durch Abschreckung abgewehrt. Künftig werden wir auf Abschreckung immer weniger bauen können.

Prävention ist letztlich nur durch eine möglichst nahe, auf potentielle Täter ausgerichtete Aufklärung zu gewährleisten. Terrorverdächtige müssen rechtzeitig identifiziert, Tatvorbereitungen frühzeitig erkannt, konspirative Netzwerke möglichst lückenlos aufgedeckt werden. Denn Heimlichkeit und Überraschungsmoment sind essentielle Faktoren in der psychologischen Anschlagswirkung. Der Terrorismus kennt nämlich nur eine Form der Niederlage: Einen Anschlag, der rechtzeitig aufgedeckt, vereitelt oder durch geeignete Gegenmaßnahmen ins Leere gelenkt wird. Verhaftungen oder gar Exekutionen von Terroristen wirken dagegen häufig nur anstachelnd oder radikalisierend, weil Märtyrer und sichtbare Opfer geschaffen werden.


Prävention heißt, auch schon vor Ort zu helfen, wie hier in Kabul
Foto: NATO

Die bisherige Bilanz von Aufklärung und Verfolgung ist eindrucksvoll: Führende Terroristen sind gefasst oder getötet worden. Die organisatorische Struktur von Al Qaida ist weitestgehend zerstört, Netzwerke sind zerrissen. Wir haben erfolgreich eine große Anzahl von Anschlagsplanungen und -vorbereitungen aufgedeckt. Das Problem besteht darin, dass Al Qaida von Anfang an ein exklusives Konzept war, eine bewusst ambivalent angelegte Organisation mit einer Wandlungsfähigkeit, die Proteus gleicht. Als hierarchisch strukturierte Terror-organisation ist Al Qaida schwer angeschlagen. Als ideologische Bewegung ist sie stärker als je zuvor. Usama bin Laden kann kaum noch operieren. Aber als Inspirator und Motivator ist er umso wirkungsvoller. Heute machen nicht die Terroristen Sorge, die von ihm instruiert sind, sondern die, die von ihm inspiriert sind und ihn vielleicht niemals gesehen haben.


Die Bundesakademie für Sicherheitspolitik in Berlin
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Strategische Prävention muss sich darüber hinaus auf die militante Jihad-Bewegung als Ganzes beziehen. Deshalb lässt sich Terror nicht allein durch Militär oder Polizei bekämpfen. Es muss eine zweite Dimension von Aufklärung hinzukommen: Aufklärung verstanden im Sinne von Kant und Voltaire, als Überwindung selbst verschuldeter Unmündigkeit.

Niemand wird als Terrorist geboren. Zum Terroristen wird man durch fehlerhafte Bildung, Überzeugung oder Indoktrinierung. Neben den praktizierenden Terroristen müssen Prediger von Hass und Gewalttaten als nicht weniger gefährlich erkannt werden. Sie sind es, die manichäisch zwischen der Brüderlichkeit der Gläubigen und der Verworfenheit der Ungläubigen unterscheiden, die vier Fünfteln der Menschheit die Menschenwürde absprechen, weil sie nicht der Botschaft des Korans folgen. Taten werden durch Gedanken und ideologische Indoktrinierung vorbereitet. Also gilt es, diese Indoktrinierung zu verhindern.

Nichts trifft Terroristen härter, als wenn sich das Umfeld aus Sympathisanten und Unterstützern von ihnen abwendet. Die Terrorbewegungen in Europa sind erloschen, nicht weil die Terroristen alle gefasst wurden, sondern weil der Nachwuchs ausblieb und sich die Gesellschaft von Gewalttätern dieser Art abwandte.

Wenn wir die extreme Brutalität einzelner Extremisten für Pauschalurteile über den Islam zum Anlass nehmen, sind wir bereits in Usama bin Ladens Falle gegangen. Dann polarisieren auch wir. Deshalb muss eine Gegenstrategie die extremen, gewaltbereiten Jihadis innerhalb der muslimischen Gesellschaft isolieren und darauf hinwirken, dass religiöse Autoritäten die militante Jihad-Interpretation klar und eindeutig verurteilen. Letztlich sind es doch die moderaten, weltoffenen und friedfertigen Muslime, die den Triumph einer Bewegung wie die der Taliban in der islamischen Welt fürchten. Also müssten sie natürliche Verbündete der westlichen Welt sein. Aufklärung im Sinne von Toleranz, Rationalität, Fähigkeit zur Selbstkritik und kritischer Suche nach Wahrheit sollten in arabischen Schullehrplänen mehr Raum bekommen – nicht die doktrinäre Arroganz von Orthodoxie und Dogmatismus.

Wirkungsvolle Prävention wird nur gelingen, wenn wir auch mit moderaten Kräften in der islamischen Welt bei Aufklärung und Bekämpfung dieser Tendenzen zusammenarbeiten. Die jüngsten Terroranschläge sind überwiegend in islamischen Ländern erfolgt, die Zahl der getöteten Muslime übersteigt die der westlichen Ausländer um ein Vielfaches. Deswegen müssen entscheidende Impulse zur Prävention aus dem moderaten Teil der islamischen Welt kommen.


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