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Konflikte um das Wasser

Was sagt das Völkerrecht?


von Philip Kunig

Wasser entwickelt sich weltweit immer mehr zum raren Gut. Besonders die afrikanischen und südostasiatischen Staaten leiden unter Wasserarmut. Fünf bis sieben Millionen Menschen sterben jährlich wegen unzureichender Wasserversorgung, darunter 2,2 Millionen Kinder unter fünf Jahren. In seinem Beitrag schildert Philip Kunig, wie das ursprünglich rein zwischenstaatliche Völkerrecht sich zunehmend auch um die Individualrechte des Einzelnen kümmert und ein „right to water“ konstituiert.

„Wir haben das Recht, mit unserem Wasser zu tun oder zu lassen, was uns beliebt. Der Schnee, der auf unsere Berge fällt, gehört nicht den Arabern. Dieses Wasser ist unser Wasser. Das Öl gehört dem, der Öl hat, und das Wasser gehört dem, der Wasser hat.“ Das sagte der ehemalige Staatspräsident der Türkei, Süleiman Demirel, und er sprach für die Türkei. Er hatte mit dieser Aussage überwiegend Unrecht, aber nicht ganz.

Wenn wir über das Wasser und das Völkerrecht reden, ist nicht das Privateigentum von entscheidender Bedeutung, sondern die Gebietshoheit als Ausfluss der Souveränität der Staaten. Deshalb geht es – anders als Demirel meint – nicht darum, wem das Wasser gehört, sondern wer Rechte am Wasser hat, ob die Ausübung dieser Rechte anderen Staaten gegenüber Schranken unterliegt und welche das sind. Darüber befindet das Völkerrecht.


Wem Gehört das (Trink)Wasser?
Foto: Pressefotos Sonnenregion Millstätter See


Das Völkerrecht ist ein eigenartiges Recht. Es wird von den Rechtsunterworfenen geschaffen, ist ein selbst gemachtes Recht. Es muss weitgehend ohne Vollzugsinstanzen auskommen, weil es überwiegend dezentral organisiert ist. Es lebt davon, dass niemand gern als Rechtsbrecher gilt, auch wenn er nicht verurteilt oder zur Kasse gebeten werden kann. Staaten verlangen voneinander die Einhaltung des Rechts. Wenn ihnen der Vorwurf des Rechtsbruchs gemacht wird, bestreiten sie die Tatsachen. Notfalls – bei Unbestreitbarkeit der Tatsachen – behaupten sie das Vorliegen von Rechtfertigungsgründen. Sie verteidigen sich mit juristischen Argumenten. Jedenfalls tun sie das zumeist, oder die meisten tun es. Sie wissen, dass sie einander mehrmals begegnen. Deshalb sind diejenigen Akteure der internationalen Politik, die offenen Rechtsbruch nicht mit völkerrechtlichen Rechtfertigungsversuchen begleiten, verantwortlich für eine derzeit zu beobachtende Krise des Völkerrechts. Aber das ist ein anderes Thema.

Für die völkerrechtliche Raumordnung gehören Gewässer und Grundwasser entweder zum Staatsgebiet oder sie befinden sich in staatsfreien Räumen, wie den Meeren oder der Antarktis. Binnengewässer, Seen, Flüsse, Grundwasser und auch die Küstenmeere sind Teile des Staatsgebiets. Alle anderen Meeresflächen stehen außerhalb der Gebietshoheit, auch wenn es viele Nutzungs- und Zugriffsrechte auf sie gibt. Die Meere haben in den 70er- und 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts partiell eine Territorialisierung ihres Rechtsstatus erlebt, dem Territorium ist ein Aquitorium an die Seite getreten, an das sich meerseitig staatliche Funktionshoheitsräume anschließen, die den Bereich der genuin globalen Staatengemeinschaftsräume verengt haben. Vom maritimen Völkerrecht soll hier aber nicht weiter die Rede sein, sondern von solchen Gewässern, die einzelstaatlicher Souveränität unterliegen, deren Nutzung, Verschmutzung, Verbrauch oder Umleitung aber gleichwohl Auswirkungen auf die Interessen anderer Staaten hat. Dabei soll es nicht um die Rolle des Wassers als Transportmittel gehen, sondern um seine Funktion als Trink- und Brauchwasser, als Lebens- und Überlebensmittel, als Grundlage der Landwirtschaft und als ein Umweltmedium im Zusammenspiel mit der Luft und dem Boden.

Auch diesbezüglich gibt es völkerrechtliche Regelungen seit langer Zeit. Hätte sich Süleiman Demirel im 19. Jahrhundert geäußert, so hätte er sich in guter Gesellschaft befunden. Er argumentierte im Sinne der so genannten Harmon-Doktrin, benannt nach einem US-amerikanischen Justizminister, der in einem Konflikt mit Mexiko über den Rio Grande das souveräne Recht auf Rücksichtslosigkeit reklamierte. Das war 1895. Die Lehre von einer absoluten Souveränität für Aktivitäten, deren Auswirkungen über das Staatsgebiet hinaus reichen, relativiert sich allerdings zwangsläufig selbst. So ist die Harmon-Doktrin für das Völkerrecht nunmehr ein längst überwundenes Gegenbild, die USA gaben sie schon im Rio-Grande-Vertrag von 1909 wieder auf.

Eine Vielzahl völkerrechtlicher Verträge, die sich auf das Wasser beziehen – jemand hat eine Liste von 3.600 zusammengestellt, die im neunten Jahrhundert vor Christus beginnt – suchen Nutzungskompromisse, Verschmutzungsvermeidung, Qualitätssicherung bezüglich von Gewässern, vor allem abgeschlossen zwischen benachbarten Staaten: USA - Kanada, USA - Mexiko, am Mekongdelta, für Donau, Nil, Indus, Nigerbecken, Sambesi, manchmal unter Einbeziehung des Grundwassers.

Je nach Kooperationsbereitschaft der Beteiligten entstanden auch gemeinsame Institutionen. Das Wasserrecht ist international wie national schon früh wie selbstverständlich auch Umweltschutzrecht gewesen, ohne dass der Begriff bekannt gewesen wäre. Der Gewässerschutz wurzelte zunächst allein in nachbarrechtlichen Verhältnissen.

Nachbarliche Verhältnisse funktionieren jedoch nur, wenn sich beide Nachbarn auf gleicher Augenhöhe begegnen. Letzteres ist am Gartenzaun oft der Fall, aber an Staatsgrenzen manchmal nicht, schon gar nicht im Verhältnis des Oberliegers zum Unterlieger. Wir denken an die Türkei und den Irak, an Israel, Jordanien und Palästina, an den Euphrat und den Jordan. Manche wasserrechtlichen Verträge spiegeln das wider. Sie sind ungleiche Verträge. Das nimmt das Völkerrecht in starkem Maße hin. Nachbarlicher Umweltschutz bezieht im Übrigen die Interessen anderer und die Gemeinwohlinteressen von vornherein nicht ein. Auch das innerstaatliche Umweltrecht ist erst ein wirkliches Umweltschutzrecht, seit es nicht mehr nur – wie über Jahrhunderte – um den Schutz eines Grundstücks vor Einwirkungen vom Nachbargrundstück geht. Echtes und effizientes innerstaatliches Umweltrecht gibt es nicht im Zweierverhältnis, sondern nur zu dritt, mit dem Staat als Drittem, der mit dem Anspruch der Durchsetzung des Gemeinwohls auftritt. An Vergleichbarem fehlt es im Völkerrecht aber aus strukturellen Gründen, weil es keine wirklich übergeordnete Rechtssetzungs- und Vollzugsebene gibt.


Leonardo da Vinci plante, den Arno von Pisa wegzuleiten,
als sich Pisa und Flozenz 1503 im Krieg befanden
Abbildung: KHI

Von Verträgen abgesehen, bildete sich auch ungeschriebenes Recht über Wasser und Gewässer heraus. Im Völkerrecht spielt das Gewohnheitsrecht noch immer eine überragende Rolle. Es erwächst aus einer kontinuierlichen Praxis, die von der Überzeugung getragen sein muss, dabei rechtsgeleitet zu handeln. Für das internationale Wasserrecht ist insofern vor allem von Bedeutung, dass sich in der zweiten Hälfte des vergangenen Jahrhunderts ein Verbot der erheblichen Schädigung fremder Souveränität unterliegender Güter herausbildete. Der entsprechende Rechtssatz wurde erstmals klar ausgesprochen von einem Schiedsgericht im Jahre 1938, das sich mit einem Konflikt zwischen Kanada und den USA zu befassen hatte. Es ging um eine Schmelzanlage für zink- und bleihaltige Stoffe, die in Britisch-Kolumbien in Grenznähe betrieben wurde und deren Ausstoß angesichts der meteorologischen Gegebenheiten im Staat Washington erhebliche Schäden für die Landwirtschaft hervorrief. Das Schiedsgericht transportierte einen Rechtssatz aus dem amerikanischen Staatsorganisationsrecht, dem Föderationsrecht, in das Völkerrecht, vielleicht eine seinerzeit „falsche“, aber eine mutige und richtungsweisende Entscheidung, deren Leitsatz durch vielfache spätere Bezugnahme und Bekräftigung in der Staatenpraxis zu Recht erstarkte. So geht es manchmal im Völkerrecht. Der genannte Satz – das Gebot der Entschädigung bei erheblicher Schadenszufügung in klarer Kausalität – gilt im Prinzip nun für Land, Luft und auch Wasser gleichermaßen. Es bezieht sich auch nicht mehr allein auf unmittelbar nachbarschaftliche Verhältnisse im Sinne von Anrainerschaft, sondern gilt darüber hinaus.

Speziell für das Wasserrecht ist ferner anerkannt, dass nicht allein grenzüberschreitende Beschädigung zu unterlassen und notfalls zu bezahlen ist, sondern dass in einem allgemeinen Sinne Rücksicht auf gewässerbezogene Interessen anderer Staaten zu nehmen ist. „Rücksichtnahme“ ist ein steuerungsschwacher Begriff, der sich demzufolge allein im kooperativen Miteinander konkretisieren lässt, weshalb die Gewässerschutzverträge Pflichten zur Konsultation, jedenfalls zur wechselseitigen Information über gewässerrelevante Maßnahmen, enthalten. Man kann davon ausgehen, dass gewisse derartige Kooperationsverpflichtungen bereits auch Bestandteil des erwähnten Völkergewohnheitsrechtes sind. Denn ihre Geltung wird von den Staaten, die ja im Völkerrecht die wichtigsten Rechtssetzer sind, nicht mehr oder kaum noch bestritten. Dazu gehört mittlerweile auch der Staat, für den Demirel gesprochen hatte.

Das internationale Wasserrecht insgesamt wird auf absehbare Zeit aber auch nicht viel weiter vorankommen als eine 1997 nach fast 30-jährigen Vorarbeiten entstandene, den Bestand der bisherigen Rechtsentwicklung kodifizierende Convention on the Law of the Non-Navigational Uses of International Water Courses. Sie spricht von einer Nutzung im Sinne von Billigkeit, Vernunft und Teilhabe, vom Vorrang der Nutzung als Trink- und Haushaltswasser, von Daten- und Informationsaustausch hinsichtlich von Maßnahmen, die wesentliche nachteilige Auswirkungen auf andere Staaten haben können. Eine wichtige Besonderheit besteht darin, dass die Lösung von Wasserkonflikten in starkem Maße bilateral oder regional erfolgen kann und muss, anders als etwa bei der Klimapolitik, die demzufolge universelle Institutionen hervorgebracht hat. Es hat den Anschein, als gelinge die nachbarliche Kooperation, die sich auf Gewässerschutz bezieht, besser als in vielen anderen Bereichen. Den völkerrechtlichen Verträgen zum Gewässerschutz wird weithin eine gute Befolgungsquote attestiert, sogar in Zeiten kriegerischer Auseinandersetzungen. Das Mekong-Wasser-Komitee funktionierte während des Vietnamkrieges und die Indus-Kommission überstand zwei Kriege zwischen Indien und Pakistan.

Gelingt die kooperative Problembewältigung nicht, wird einseitig und vielleicht mit verheerenden Folgen agiert, und es stellen sich andere völkerrechtliche Fragen. Wasser ist ein empfindliches Ziel, kann aber auch wie eine Waffe eingesetzt werden, als Verteidigungsinstrument, wie bei der Öffnung belgischer Deiche im Ersten Weltkrieg zur Abwehr der deutschen Invasion, aber auch offensiv durch Trinkwasservergiftung wie 1999 im Kosovo, durch die Bombardierung von Staudämmen, wie seitens der Briten in Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Schon Leonardo da Vinci und Niccolo Machiavelli planten, den Arno von Pisa wegzuleiten, als sich Florenz und Pisa 1503 im Krieg befanden. Ein General der Ming-Zeit brach 1642 die Deiche des Gelben Flusses, um mit dessen Fluten einen Bauernaufstand niederzuschlagen – Wasser als Waffe im Bürgerkrieg. Der chinesische Offizier Chiang Kai-schek folgte dem Beispiel 1938 gegen die Japaner, Saddam Hussein hat wohl bis zuletzt mit verheerenden Folgen in die Wasserversorgung der Schiiten des irakischen Südens eingegriffen. Es gibt weitere historische, aber auch aktuelle Beispiele und es kann weitere geben. Manche sagen, dieses Jahrhundert würde vom Kampf um das Wasser gekennzeichnet sein.

Andere bestreiten dies vehement. Historiker und Konfliktforscher meinen sogar, dass es bisher kaum je Kriege gegeben habe, die ausschließlich wegen Konflikten um das Wasser geführt wurden. Das mag so sein. Beruhigend für die Zukunft wirkt es dennoch nicht. Denn in vielen staatlichen Konflikten ist Wasser jedenfalls ein wichtiges Element, in Bürgerkriegen ohnehin. Die Bevölkerungsexplosionen im Süden und Osten der Welt können künftig weitere Wasserkonflikte hervorrufen. Man sagt es vor allem für Afrika voraus und muss es für Südostasien befürchten.

Können nun Einwirkungen auf das Wasser verbotene Gewalt im Sinne der UNO-Satzung sein und sind solche Maßnahmen eine Bedrohung der internationalen Sicherheit im Sinne der Zuständigkeitsnormen für den Sicherheitsrat? Militärische Einwirkung auf Wasser außerhalb des eigenen Staatsgebietes unterfällt unproblematisch dem Gewaltverbot des Völkerrechts. Der Einsatz beziehungsweise die Auslösung von physikalischer Gewalt durch Wasser unterfällt dem Gewaltverbot zwar nicht notwendigerweise, ebenso nicht der angedrohte Entzug benötigten Wassers zur Erreichung politischer Ziele. Beides ist indessen regelmäßig völkerrechtswidrige Einmischung in fremde Angelegenheiten. Es kam und kommt jedoch oft vor im Verhältnis der Oberlieger zu den Unterliegern, an Euphrat und Tigris, am Nil – aber auch zu Lasten von Staaten, die auf den Trinkwasserimport angewiesen sind, wie Singapur, das sein Wasser zur Hälfte aus Malaysia bezieht und damit gelegentlich Pressionen ausgesetzt wird. Hier ist das Wasser also als eine politische Waffe im Einsatz. Das Völkerrecht verbietet auch dieses.

Der Sicherheitsrat ist heute längst nicht mehr nur für Fälle grenzüberschreitender militärischer Gewalt zuständig, sondern verfügt über ein breites Zugriffspotential für internationale Konflikte, insbesondere auch solche, die sich als schwere Menschenrechtsverletzungen darstellen. Jedenfalls immer dann, wenn aus einem eigentlich internen Konflikt potentiell internationale Krisen erwachsen können, wie typischerweise durch Flüchtlingsströme. Dieses veränderte und erweiterte Verständnis des Begriffs der Bedrohung des Weltfriedens ist in den 90er Jahren des vergangenen Jahrhunderts durch Resolutionspraxis etabliert worden, bezüglich etwa Somalia, Haiti, Ruanda. Das Problem des Sicherheitsrats ist nicht (mehr) seine Zuständigkeit, sondern (weiterhin) seine mangelnde Verlässlichkeit. Er kann eine Polizistenrolle spielen, ohne bislang zu ihrer Wahrnehmung verpflichtet zu sein – anders als ein staatlicher Polizist, auf dessen Einsatz der Einzelne einen Anspruch hat, den man verklagen, von dem man Schadensersatz verlangen kann.

Die Sicht auf den Einzelnen führt abschließend zu einem Perspektivenwechsel. Bisher war hier nur von Staaten als Akteuren des Völkerrechts die Rede. Die moderne Völkerrechtsordnung ist aber auch eine Menschenrechtsordnung. Können die Menschenrechte für das Wassermanagement der Zukunft eine Rolle spielen?

In der internationalen Menschenrechtsordnung werden so genannte Generationen von Menschenrechten unterschieden. Klassische Menschenrechte wie die körperliche Unversehrtheit und die Meinungsfreiheit bilden die erste Generation. Davon zu unterscheiden sind die eher programmatischen, sozialen und kulturellen Rechte. Als dritte Generation bezeichnet man kollektive Rechte, wie das Recht auf Entwicklung, ein schillernder Begriff, der aber heute weithin akzeptiert ist. In die zweite wie die dritte Kategorie gehört das so genannte right to food, richtigerweise zwanglos zu verstehen auch als human right to water. So wurde es 2003 auch auf dem Welt-Wasser-Forum in Osaka formuliert. Es gibt im Völkerrecht ein Recht des Einzelnen auf hinreichende Wasserversorgung und Abwasserentsorgung.

Das gilt nicht in dem Sinne, dass dieses Recht wie ein klassisches Individualrecht vor Gericht geltend gemacht werden könnte. Wohl aber ist seine nachhaltige Einforderung auf allen Foren möglich, auf denen über die Austarierung der Interessen beim Wassermanagement gesprochen wird, eine Einforderung gerade auch durch die in den vergangenen Jahren weithin an der internationalen Normbildung auf Konferenzen beteiligten Nichtregierungsorganisationen (NGO), die nun Mitspieler im völkerrechtlichen Konzert sind. Was auf dem Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg 2002 insoweit erreicht wurde, kann nicht mehr als ein Anfang sein. Man vereinbarte das Ziel, bis zum Jahr 2015 eine Halbierung der Anzahl von Menschen ohne regelmäßigen Zugang zu sauberem Trinkwasser (das sind derzeit 1,2 Milliarden Menschen, darunter über die Hälfte der Bevölkerung Afrikas) beziehungsweise ohne Zugang zur Abwasserentsorgung zu erreichen (das sind derzeit 2,4 Milliarden Menschen). Allein fünf bis sieben Millionen Menschen sterben jährlich wegen unzureichender Wasserversorgung, darunter 2,2 Millionen Kinder unter fünf Jahren. Die Erfüllung des right to water steht weiter auf der Tagesordnung.

Fassen wir zusammen. Das Völkerrecht gibt nur recht allgemeine Wassermanagement-Regeln vor. Es kennt ferner Grundregeln über Haftung bei Schädigung, über Rücksichtnahme bei der Bewirtschaftung und es bietet einen Rahmen für regionale und nachbarliche Kooperation. Das Funktionieren solcher Regeln hängt entscheidend ab von der Kooperationsbereitschaft der an einem Nutzungskonflikt Beteiligten. Das Völkerrecht ist verletzt, wenn jemand Wasser als Waffe einsetzt oder aus Rücksichtslosigkeit die Existenz eines Staates durch die Beeinträchtigung von dessen Gewässern aufs Spiel setzt. Sogar der Sicherheitsrat könnte notfalls damit befasst werden, allerdings, er muss es nicht. Erwarten wir nicht zuviel von ihm. Betonen wir stattdessen die Rolle des Individuums, fordern wir Maßnahmen zur Realisierung des Menschenrechts auf Trink- und Brauchwasser und auf Abwasserentsorgung ein.


Human right to water – bis zum Jahr 2015 soll eine Halbierung
der Anzahl von Menschen ohne regelmäßigen Zugang zu sauberem
Trinkwasser erreicht werden
Foto: Mediathek des Bayrischen Umweltministeriums

Die Mühlen der Menschenrechtsentwicklung, vor allem ihrer Durchsetzung, mahlen langsam, aber doch deutlich effektiver als es vielfach wahrgenommen wird. Ihre typischen Kontrollmechanismen, die Berichtssysteme und Beschwerdeverfahren, die Einbeziehung der Nichtregierungsorganisationen, haben Verbesserungen der Menschenrechtssituation in vielen Staaten der Welt begleitet und gefördert. Hier wird definiert, was den Kern der konsentierbaren Gemeinwohlvorstellungen in dieser Welt ausmacht. Das Menschenrecht auf Wasser nimmt alle in die Pflicht, die zu seiner Verwirklichung beitragen können: Geberländer und Investoren, auch und gerade die Staaten mit gefährdeter Wasserlage, mit Wasser-Stress, wie die Entwicklungspolitiker sagen. Das Völkerrecht verpflichtet die Regierungen der Wasser-Stress-Länder zu entsprechenden Maßnahmen im Innern. Das ist revolutionär, denkt man an die Wurzeln des Völkerrechts als eine ursprünglich rein zwischenstaatliche Veranstaltung, blind für Vorgänge im Innern der Staaten. Heute will das Völkerrecht auch Gerechtigkeit für den Einzelnen. Das Völkerrecht ist andererseits keine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Es kann nur Bahnen vorzeichnen und Institutionen bereithalten. Es muss im Übrigen auf die Einsicht politischer Akteure und deren Bereitschaft zur kooperativen Problembewältigung hoffen.

Literatur

Ph. Kunig: Nachbarrechtliche Staatenverpflichtungen bei Gefährdung und Schädigung der Umwelt, in: Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht 32 (1992), 9 ff.

Ph. Kunig: Das Völkerrecht als Recht der Weltbevölkerung, in: Archiv des Völkerrechts, Bd. 41 (2003), 327 ff.

Ph. Kunig: Das Wasser in der Völkerrechtsordnung, in: G. Reichelt (Hrsg.), Wasser in Recht, Politik und Kultur, Band 12 der Schriftenreihe des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Europarecht, Wien 2004.

S. Neubert/W. Scheumann: Kein Blut für Wasser, in: Internationale Politik 58 (2003/3), 31 ff.

W. Scheumann/A. Klaphake: The Convention on the Law of Non Navigational Uses of International Water Courses, 2001 (Gutachten des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik, Bonn).

W. Graf Vitzthum: Raum und Umwelt im Völkerrecht, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Aufl. 2004.

A. T. Wolf: The transboundary fresh water dispute data base project, in: Water International 24 (1999), 160 ff.

I. Wolff: Die Ergebnisse des Weltgipfels über die nachhaltige Entwicklung in Johannesburg: Zusammenfassung und Wertung mit Blick auf die Entwicklung des Umweltvölkerrechts, in: Natur und Recht 2003, 173 ff.


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