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Abbildungen: Medtronic Inc.

Der Hirnschrittmacher

Therapie von Bewegungsstörungen

von Jan Vesper & Mario Brock

Bewegungsstörungen und ihr natürlicher Verlauf sind durch ein langsames Fortschreiten unterschiedlicher Symptome gekennzeichnet. Die häufigsten Erscheinungsformen dieser Erkrankungen heißen Morbus Parkinson, Essentieller Tremor und Dystonie, die langfristig trotz medikamentöser Therapie zu einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität führen. Die Ursachen dieser degenerativen Hirnveränderungen sind Gegenstand intensiver Forschung am Universitätsklinikum Benjamin Franklin.

Bewegungsstörungen entstehen durch den selektiven „Untergang“ von Nervenzellen, die bestimmte Botenstoffe des Hirns speichern und die elektrische Informationsübertragung ermöglichen. Dopamin ist ein solcher Botenstoff, der im Falle der Parkinson’schen Erkrankung fehlt. Dopamin ist eigentlich ein hemmender Botenstoff, so dass sein Mangel zu einer Überaktivität in zentralen Hirngebieten, den so genannten Basalganglien, führt. Durch diese ungesteuerte Überaktivität entstehen typische Bewegungsstörungen.

Der Morbus Parkinson tritt als häufigstes Nervenleiden in Erscheinung. Ungefähr fünf Prozent aller über 60-Jährigen sind davon betroffen – Männer genauso häufig wie Frauen. Die Lebenserwartung dieser Patienten entspricht inzwischen dank neuer Therapien der der Normalbevölkerung. In Deutschland schätzt man die Zahl der Erkrankten auf ca. 600.000, davon sind etwa 50.000 Patienten jünger als 40 Jahre.

Unerwünschte Bewegungen sind die sichtbaren Krankheitszeichen der Betroffenen. Verursacht durch einen Tremor (unwillkürliches Zittern), eine Dystonie (fehlerhafter Spannungszustand der Muskeln) oder durch die Parkinson’sche-Krankheit (Zittern, Steifigkeit, Bewegungsarmut) können die meisten alltäglichen Aufgaben, die eine funktionierende Feinmotorik erfordern, nicht mehr erledigt werden.

Zunächst bemühten sich Neurologen, die motorischen Störungen medikamentös beherrschen zu können. Die Langzeittherapie mit L-DOPA zeigte jedoch zahlreiche Nebenwirkungen. Im Laufe der Jahre verliert das Medikament an Wirkung und es werden immer höhere Medikamentendosen erforderlich. Dabei treten bei den Patienten belastende und beängstigende Wirkungsschwankungen auf, die durch einen schlagartigen Wechsel zwischen Überbeweglichkeit und massiver Steifigkeit gekennzeichnet sind. Sehr hohe Dosen des L-DOPA können zudem auf lange Sicht das Fortschreiten der Erkrankung beschleunigen, weshalb oft schon von Beginn an DOPA-Ersatzstoffe (Dopaminagonisten) mitverordnet werden.

Bislang ist eine Heilung dieser Erkrankungen nicht möglich, weshalb die medikamentöse Therapie im Laufe der Zeit schwieriger wird. Die Patienten leiden unter den Folgen dieser Entwicklung, wie etwa dem Verlust der Medikamentenwirkung, unkontrollierbaren Schwankungen der Motorik im Tagesverlauf mit schmerzhafter Über- und Unterbeweglichkeit. Oft kommt es zu erheblichen psychosozialen Problemen – verbunden mit Berufsunfähigkeit, sozialem Rückzug und familiären Konflikten. Parallel dazu entwickeln die Patienten häufig Ängste und Depressionen.

Der größte therapeutische Fortschritt bei der Behandlung des M. Parkinson seit Einführung der L-DOPA-Therapie Ende der 60er Jahre ist die chronische hochfrequente, tiefe Hirnstimulation (Deep Brain Stimulation, DBS). Sie entspricht der Implantation eines „Hirnschrittmachers“. Tremorsymptome, motorische Parkinsonsymptome und dystone Störungen werden in tiefen Hirnzentren, den Basalganglien, durch eine kontinuierliche Elektrostimulation mit hohen Frequenzen verbessert. Nebenwirkungen lassen sich durch Justierung der Stimulationsparameter vermeiden. Ziel des operativen Eingriffs ist es, mit Hilfe dünner Elektroden die betroffenen Zellkerne in der Tiefe des Hirns zu erreichen und dort die elektrische Übertragung zu hemmen. Während früher Teile dieser Hirnzentren in den Basalganglien thermisch zerstört werden mussten, um eine Besserung zu erreichen, ist heute ein gezielterer und schonenderer – weil reversibler und variabel zu steuernder – Eingriff möglich. Der Fortschritt besteht darin, dass lediglich die „ungezügelte“ zelluläre Übertragung gehemmt wird. Damit wird die Bewegungsstörung deutlich vermindert und der erforderliche Medikamentenkonsum reduziert. Eine Operation ist vor allem dann in Betracht zu ziehen, wenn die Medikamente nicht oder nicht mehr ausreichend helfen, oder wenn die Nebenwirkungen überwiegen.
Die Auswahl von Patienten für derartige Operationen ist von drei Faktoren abhängig:

  • Resistenz gegen die medikamentöse Therapie während mindestens sechs Monaten,
  • Ausmaß der motorischen Beeinträchtigung,
  • Minderung der Lebensqualität.

Vor der Operation sind sorgfältige neurologische Untersuchungen erforderlich. Wichtig ist, dass mit Hilfe moderner bildgebender Verfahren diejenigen Orte im Gehirn berechnet und definiert werden, die die Störung verursachen und die behandelt werden müssen. Wenn diese Untersuchung abgeschlossen ist, kann der spezialisierte Neurochirurg bereits voraussagen, in welchem Umfang sich die motorische Unruhe korrigieren lässt.

Die Operation erfolgt in zwei Schritten: Zunächst werden beide Elektroden in örtlicher Betäubung implantiert. Dazu wird ein Metallring auf dem Kopf fest angebracht. Mit diesem Stereotaxiering werden spezielle Computertomogramme und Röntgenaufnahmen angefertigt, mit deren Hilfe die Koordinaten der Zielpunkte in den Basalganglien berechnet werden. Die Elektrode wird schmerzfrei und zielgesteuert (stereotaktisch) in die zuvor definierten Hirnzentren eingeführt. Auch während der Operation wird die Lage der Elektroden mit Röntgenaufnahmen regelmäßig kontrolliert.


Röntgenbild mit angelegtem Stereotaxiering und implantierten Elektroden. (Abb.: UKBF)

Über Mikroelektroden werden aus den Zielgebieten zusätzlich Entladungen der Nervenzellen abgeleitet, die spezifisch für jede Zellgruppe sind und daher eine zusätzliche Sicherheit bei der Lagebestimmung der Elektroden in den nur wenige Millimeter messenden Strukturen bieten. Probestimulationen geben letztlich die entscheidende Information darüber, ob die nur anvisierten Zielpunkte erreicht wurden und die Symptome des Patienten unterdrückt werden können.

Der zweite Eingriff kann nach etwa drei bis vier Tagen in Vollnarkose erfolgen. Die Elektroden werden mit einem Schrittmacher über dünne Kabel verbunden. Die Kabel und der Schrittmacher verlaufen unter der Haut und sind von außen nicht sichtbar. Nach Einschalten des „Hirnschrittmachers“ gibt dieser kontinuierlich einen hochfrequenten Strom ab, der über die Elektroden die Zielstrukturen hemmt, was die Bewegungsstörung mildert oder korrigiert. Je nach benötigter Energie beträgt die Batterielebensdauer ca. vier bis fünf Jahre. Das Auswechseln der Batterie geschieht mit einem kleinen Eingriff in örtlicher Betäubung. Da die linke Hirnhälfte nur die rechte Körperseite steuert und umgekehrt, müssen auf beiden Seiten Elektroden implantiert werden, um die Symptome wirksam zu unterdrücken. Nach der Operation wird im Laufe der nächsten Monate schrittweise die optimale Einstellung der Stimulationsparameter bestimmt. Dazu wird der Stimulator über ein spezielles Gerät telemetrisch angesteuert und programmiert.


Hirnschrittmacher mit angeschlossenen Elektroden und Therapiesteuergerät

Der Patient kann mit Hilfe eines kleinen Therapiesteuergerätes selbst die Funktion des Stimulators anpassen und überprüfen (siehe Abbildung unten). Die technisch und personell aufwendige Operation eines Hirnschrittmachers wird nur an wenigen Neurochirurgischen Zentren durchgeführt. Die intensive Kooperation mit spezialisierten Neurologen ist notwendig, um das individuelle Krankheitsbild präzise zu diagnostizieren, die Eignung eines Patienten für den Eingriff zu beurteilen, den Grad der Beschwerdebesserung vorherzusagen und die optimale Einstellung der Stimulationsparameter des Hirnschrittmachers nach der Operation festzulegen.


Programmiergerät für Neurostimulation

Die meisten Bewegungsstörungen wie Tremor (unwillkürliches Zittern), Rigor (Steifigkeit), Akinese (Antriebsarmut) und auch die Fehl- und Schleuderbewegungen der Dystonie sind gut unterdrückbar und ein Großteil der Patienten kann nach der Operation den Anteil an Medikamenten um etwa 50-60% reduzieren und damit ihre unangenehmen Nebenwirkungen vermindern. Die Kosten für die Operation (Implantat, OP-Kosten und Krankenhausaufenthalt) werden von den Kassen übernommen. Die postoperative Betreuung erfolgt gemeinsam durch den behandelnden Neurologen und den Neurochirurgen.

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