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Kupferner Kopf eines mesopotamischen Herrschers, ca. 2.250 v. Chr., der möglicherweise den Herrscher Naramsin darstellt. Alle Abbildungen: Institut für Altorientalistik

Als David aber alt geworden war und hochbetagt…

Altwerden und Altsein im Alten Orient

von Johannes Renger

Mögen die Götter den König ein hohes, ja ein extrem hohes Alter genießen lassen!
Segensgruß in Briefen an den Herrscher (Mesopotamien, 8. Jh. v. Chr.)

In Mesopotamien versorgten die Familie oder institutionelle Haushalte die alten Menschen. Reibungsfrei war das Familienleben auch im alten Vorderen Orient nicht, wie der Beitrag des Althistorikers Johannes Renger zeigt, der anhand der Bibel sowie von Briefen, Rechts-und Verwaltungsurkunden aus Mesopotamien den Lebensalltag alter Menschen nachzeichnet.

Die schriftliche Überlieferung aus zwei sehr unterschiedlichen Kulturen des alten Vorderen Orients – der des alten Mesopotamien und der des Alten Testaments – bietet Einblicke in die Art und Weise, wie man mit dem Alter umging. Neben Zeugnissen des täglichen Lebens wie Briefen, Rechts- und Verwaltungsurkunden, die uns die Einbettung des Phänomens Alter in die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturen der Zivilisation des alten Mesopotamien seit dem Ende des 4. Jt. bis zum 1. Jt. v. Chr. zeigen, stehen einige wenige literarische Texte unterschiedlicher Genres mit Reflexionen über das Alter, das Alt-Werden und das Alt-Sein. Das vielfältige Bild vom alten Menschen, wie es uns die darstellende Kunst der griechisch-römischen Antike und Europas seit dem Mittelalter vermittelt, findet im alten Mesopotamien allerdings keine Entsprechung.

Die Schriften des Alten Testaments stellen ein relativ spätes Zeugnis dar. Sie sind im Verlauf des 1. Jt. v. Chr. entstanden und haben ihre endgültige Form erst allmählich in einem länger währenden redaktionellen Prozess erhalten. Aber sie reflektieren deutlich das Lebensgefühl einer altorientalischen Gesellschaft der Levante. Obwohl die Sicht der Schriften des Alten Testaments ganz eigene Bezugspunkte hat, sind diese doch geeignet, das zu ergänzen und zu untermauern, was mesopotamische Quellen zu sagen haben.

Zum besseren Verständnis der wenigen überlieferten Äußerungen und Tatsachen bezüglich des Alters müssen wir uns zunächst vergegenwärtigen, was über die allgemeinen Lebensumstände in dieser Zeit und in diesen Regionen bekannt ist. Die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bedingungen in Mesopotamien sowie in Israel und Juda waren die einer Agrargesellschaft. Die landwirtschaftliche Produktion Mesopotamiens beruhte auf der Notwendigkeit der künstlichen Bewässerung der Ackerflächen, die in Israel und Juda auf Regenfeldbau. Landwirtschaft war in Mesopotamien – wie auch in Israel und Juda – im Wesentlichen Subsistenzproduktion: Alles, was in einem Haushalt benötigt wurde, wurde von diesem auch produziert. Das Ergebnis garantierte in aller Regel gerade soviel, wie zum Überleben erforderlich war.

In Mesopotamien bestimmten im Laufe einer sich über viele Jahrhunderte erstreckenden Entwicklung unterschiedliche Formen der Bodenbesitzverhältnisse und die daraus resultierende Organisation landwirtschaftlicher Arbeit das Leben in der Gesellschaft. Bis ins 4. Jt. v. Chr. dominierten selbst verwaltete bäuerliche Dorfgemeinschaften die Strukturen der Gesellschaft. Sie bestanden aus Familien und Familiengruppen, in deren Händen die landwirtschaftliche Produktion lag. Am Ende einer zunehmenden Hierarchisierung der Gesellschaft, verbunden mit und vielleicht auch bedingt durch Arbeits- und Funktionsteilung, stand eine frühe Form von ‘Staat’. Im Zuge dieser Entwicklung konzentrierte sich die Kontrolle über das wesentliche Produktionsmittel der Gesellschaft, das Ackerland, in den Händen einer das gesellschaftliche Leben und seine Institutionen bestimmenden Elite. Die herrschenden Eliten, die die zentralen Positionen der gesellschaftlichen Institutionen – zunächst der Tempel, später von Tempeln und Palast – besetzt hielten, übten von nun an die Kontrolle über das Ackerland aus, das in großen Domänen von bis zu 200 Hektar Fläche organisiert war. In die institutionellen Haushalte war nunmehr auch fast die gesamte Bevölkerung als abhängige Arbeitskräfte integriert. Man spricht – um einen von Max Weber geprägten Ausdruck zu gebrauchen – von einer oikos oder institutionellen Haushaltswirtschaft, die sich in unterschiedlich geprägten Formen vom Ende des 4. Jt. bis zum Beginn des 2. Jt. v. Chr. in Mesopotamien nachweisen lässt.

Zu Beginn des 2. Jt. v. Chr. setzte in Mesopotamien eine Entwicklung ein, in deren Verlauf wesentliche Bereiche der wirtschaftlichen Aktivitäten der großen institutionellen Haushalte individualisiert wurden. Insbesondere die landwirtschaftliche Produktion fand nun nicht mehr auf den großen Domänen statt, sondern erfolgte auf kleinen, familiengerechten Flächen von in der Regel fünf Hektar Umfang; einer Größe, die auch im heutigen Irak üblich ist. Das Ackerland verblieb aber, soweit man sehen kann, weitgehend unter der Kontrolle der institutionellen Haushalte von Tempel und Palast, es wurde in Form von Versorgungs- oder Pachtfeldern den Untertanen übergeben. Die Besitzer der Versorgungsfelder waren dem Palast im Gegenzug zu Dienstleistungen unterschiedlicher Art verpflichtet, die Pächter von Pachtfeldern zu Naturalabgaben, meist Getreide.

Auch die bäuerliche Bevölkerung Israels und Judas wirtschaftete und produzierte – organisiert in Familien und Familienverbänden – auf kleinen, die Subsistenz der jeweiligen Familien garantierenden Flächen. Eine allmählich einsetzende Konzentration des Ackerlandes in den Händen weniger Großgrundbesitzer verschlechterte zunehmend die soziale Situation und die materiellen Lebensbedingungen der Produzierenden.

Vor diesem Hintergrund muss man die Situation des arbeitenden und auch des alten Menschen sehen. Familien bildeten die kleinsten produzierenden Einheiten. Eine Familie umfasste in der Regel drei Generationen: Kinder, Eltern und Großeltern – eine Generationentiefe, die auch in der Verwandtschaftsterminologie ihren Ausdruck gefunden hat. Sie alle waren, soweit das ihr jeweiliges Alter und ihre Kräfte zuließen, an der häuslichen und landwirtschaftlichen Arbeit beteiligt. In alten und so genannten traditionellen Gesellschaften, ja selbst in der frühen Neuzeit Europas, war in der Regel die Familie, bzw. der Familienverband, der Garant für die Existenz einer Person in allen Phasen des Lebens.

Eine völlig andere Situation bestand in Mesopotamien, als die landwirtschaftliche Produktion in großen Domänen institutioneller Haushalte erfolgte, das heißt etwa vom Ende des 4. Jahrtausends bis ins 20. Jh. v. Chr. Auch später gab es in Mesopotamien immer wieder großflächige Domänen des Palastes und des Tempels. Die Domänen wurden von abhängigen Arbeitskräften bearbeitet. Vor allem im 3. Jt. v. Chr. war praktisch die Gesamtheit der Bevölkerung im südlichen Mesopotamien in die großen institutionellen Haushalte integriert. Die Arbeiter und Arbeiterinnen erhielten dafür Naturalrationen. Die Zuteilung bestand meist aus Gerste, Bier und Öl zum Salben, was im heißen Klima Mesopotamiens sehr wichtig war, sowie Wolle, beziehungsweise einem Gewand pro Jahr.

Diese Zuteilungen waren, wie das besonders eindrücklich und detailliert für das 21. Jh. v. Chr. bezeugt ist, sehr differenziert nach Funktion, Alter und Geschlecht festgelegt: Einer voll arbeitsfähigen männlichen Arbeitskraft stand in der Regel etwa 1,6 Liter Gerste pro Tag zu (das entspricht etwa 1 Kilogramm Gerste bzw. 600 Gramm Gerstenmehl). Für Kleinkinder, Kinder und Jugendliche betrug die tägliche Ration je nach Altersstufe zwischen 0,3 und 0,6 Liter Gerste. Voll arbeitsfähige Frauen erhielten je nach Tätigkeit zwischen 0,84 und 1.1 Liter pro Tag, alte Frauen 0,6 und alte Männer 1,3 Liter pro Tag. Diese Rationen sicherten in etwa das Ernährungs-Minimum und entsprechen auch dem, was wir für den Mittelmeerraum aus dem 17. Jh. n. Chr. und für das heutige ländliche Syrien wissen.


Verwaltungsurkunde aus Uruk im südlichen Mesopotamien, ca. 3000 v. Chr. – Abrechnung über die Bierzuteilung an mehrere Personen.

Aufs Ganze gesehen war also für den Unterhalt im Alter Sorge getragen im System der Gesellschaft – sowohl Mesopotamiens als auch Israels und Judas: entweder durch die verabreichten Naturalrationen, wie eben beschrieben, oder durch die Versorgung im Familienverband. Trotzdem begegnet uns immer wieder die große Sorge, im Alter mittellos und ohne Unterstützung dazustehen. Für das alte Mesopotamien drückt das ein Passus in einem mythologischen Poem sehr anschaulich aus:

„Ein Vater, der einen Sohn zeugte, wird sagen:
‘Du bist mein Sohn!
Ich habe Dich groß gezogen – damit Du mir das vergiltst’.
Ich, der Gott Erra aber werde den Sohn sterben lassen, sodass der Vater ihn bestatten muss.
Später werde ich den Vater sterben lassen – aber dann wird niemand da sein, ihn zu begraben.“

Ein Beter in Psalm 71:9 bittet darum, im Alter nicht verworfen zu werden, wenn seine Kraft schwinde. Im Buch Jesus Sirach (9:14) findet sich die Mahnung, einen alten Freund nicht aufzugeben, und an anderer Stelle: „Liebes Kind, pflege Deinen Vater im Alter ... und sei nachsichtig mit ihm, wenn er auch kindisch würde. Und verachte ihn nicht darum, dass Du geschickter bist! (3:13).“ Apodiktisch fasst der Dekalog diese Verpflichtungen zusammen: „Ehre deinen Vater und deine Mutter, damit auch Du lange leben mögest in dem Land, das Dir der Herr, Dein Gott, geben will.“ (Exodus 20:12, Deut. 5:16)

Ein oft beschrittener Weg im Alter Unterstützung und Fürsorge zu finden, wenn keine Familie, keine Kinder dies tun konnten oder wollten, bestand darin, sich Unterstützung im Alter vertraglich zu sichern. Zahlreiche Rechtsurkunden aus Mesopotamien und Syrien belegen dies. Man muss allerdings davon ausgehen, dass solche urkundlichen Vereinbarungen Verhältnisse innerhalb der Oberschicht reflektieren. Die breite Masse der bäuerlichen Bevölkerung – des Lesens und Schreibens nicht mächtig – war auf mündliche Vereinbarungen vor Zeugen aus dem Familienkreis und dem dörflichen Lebensumfeld angewiesen, wovon sich in unserer Überlieferung keine Spuren finden.

Eine Verfügung von Todes wegen (18. Jh. v. Chr.) bekräftigt durch einen Eid beim König, lautet folgendermaßen: „W. und N. sollen A., ihrem Vater, monatlich 50 Liter Gerste, je ein Drittel Liter Öl sowie jährlich je 3 Minen (= ca. 1440 Gramm) Wolle geben. Mit diesen Rationen an Gerste, Öl und Wolle sollen sie ihn versorgen. Wer immer ihn nicht versorgt, verwirkt sein Recht auf das väterliche Erbe.“

Dass die übliche Verpflichtung zur Altersversorgung durch die Familie nicht immer funktionierte, zeigt die Ausgangssituation für einen anderen Vertrag (Mesopotamien, 6. Jh. v. Chr.) zur Altersversorgung: „A. sagte zu B., seiner Tochter: ‘Während ich krank war, hat mich mein Bruder C. im Stich gelassen und mein Sohn D. ist von mir fortgelaufen. Nimm nun Du mich an und sorge für mich und gewähre mir Unterhalt in Form von Nahrung, Öl und Kleidung, so lange ich lebe. Ich will Dir dafür meine Pfründe überschreiben.’ B. erklärte sich mit ihres Vaters Vorschlag einverstanden. Sie nahm A. (ihren Vater) in ihrem Haus auf und versorgte ihn mit Nahrung, Öl und Kleidung, wofür A. seine Pfründe freiwillig auf Dauer an seine Tochter B. überschrieb. Solange A. lebt, wird B. ihren Vater A. mit Nahrung, Öl und Kleidung versorgen. Solange A. lebt, wird er das Einkommen seiner Pfründe genießen. Aber A. darf seine Pfründe weder verkaufen, verschenken oder verpfänden, noch darf er sie verkleinern. Wenn A. stirbt, werden die Pfründe endgültig auf seine Tochter B. überschrieben werden.“


Sitzbild eines Verwaltungsbeamten aus Mari am mittleren Euphrat, ca. 2300 v. Chr.

Auch in Vertragsurkunden (14. Jh. v. Chr.) aus Emar, einer syrischen Stadt am mittleren Euphrat in der Nähe des heutigen Meskene, wird diese Situation deutlich. So heißt es in einem Fall: „Ich habe keinen Sohn, der mir dient.“ Eine andere Urkunde spricht davon, dass mehrere Söhne ihren Vater verlassen, ihm nicht gedient, ihn nicht unterstützt haben, und er nun niemanden habe, der ihm dienen könne.
Ein Text aus Nuzi, einer Stadt in der Nähe des heutigen Kerkuk (14. Jh. v. Chr.), schließlich zeigt, dass die Sorge für die Alten auch Immaterielles einschließt: „Solange A. lebt, soll B. ihm Nahrung und Kleidung geben und ihn ehren. Wenn A. stirbt, soll er (B.) die Trauerriten vollziehen und ihn begraben.“

Ähnliches wird in einem Vertrag aus Emar (14. Jh. v. Chr.) vereinbart: „Und wenn meine Tochter K. stirbt, dann darf A. (ihr Ehemann), mein adoptierter Sohn, unter keinen Umständen mein Haus verlassen, denn er ist verpflichtet, Sorge für die Verehrung meiner Hausgötter und meiner toten Vorfahren zu tragen.“

Eine andere Möglichkeit, für die Unterstützung im Alter zu sorgen, bestand darin, eine Sklavin oder einen Sklaven dazu zu verpflichten: „Die Sklavin I. soll, solange S., ihre (d.h. der Söhne) Mutter, lebt, ihr dienen. Sie soll sie (die Sklavin) nicht einem ihrer Söhne, den sie besonders bevorzugt, geben. (Erst) nachdem S. gestorben ist, sollen die Drei (den Wert der Sklavin) gleichwertig unter sich aufteilen.“

Laut einer Rechtsurkunde aus Mesopotamien (18. Jh. v. Chr.) entlässt ein Ehepaar eine Sklavin in die Freiheit unter der Bedingung, dass „diese dem Ehepaar bis zu dessen Tod zu Diensten sein müsse. In Zukunft dürfen ihre (des Ehepaars) drei Erben ihren Status nicht anfechten.“

Neben Adoption und Vereinbarungen, die die Unterstützung alter Eltern mit erbrechtlichen Verfügungen koppeln, sind auch andere vertragliche Verfügungen bekannt, die diesem Zweck dienen sollten. So wird ein Darlehensschuldner verpflichtet, seinem Gläubiger im Alter beizustehen, auch wenn die Darlehensschuld bereits getilgt sei.

Ähnlich liegt folgender Fall (Mesopotamien, 6. Jh. v. Chr.): „A. erklärt folgendermaßen: ‘B. befand sich bei mir wegen einer Summe von 41 Schekel Silber in Schuldknechtschaft . Ich habe (ihm) jetzt 20 Schekel der Schuld erlassen und habe ihm die C. als Ehefrau gegeben.’ Solange A. und seine Ehefrau leben, soll B. (der Schuldner) sie ‘ehren’ (d.h. ihnen dienen). Wenn er sie ehrt, dann darf er, wenn sie gestorben sind, seine Ehefrau (C.) und (seine) Kinder nehmen und gehen, wohin es ihm beliebt. Die (verbleibenden) 21 Schekel (seiner Darlehensschuld) soll er seinen (des verstorbenen A.) Kindern zahlen.“

Über Altersgebrechen schweigen die Texte aus Mesopotamien bis auf wenige Ausnahmen. Ein Text aus dem 18. Jh. v. Chr. schildert jedoch anschaulich:

„Ich war jung. Aber jetzt haben mein Glück, meine Kraft (und) mein persönlicher Gott mich verlassen.
Meine Jugendkraft ist meinen Lenden entschwunden als ob ich ein erschöpfter Esel sei.
Mein schwarzes Gebirge (d.h. mein Haupthaar) hat weißen Gips gezeugt.
...
Mein Mungo (mein Mund), der stark gewürzte Speisen zu essen pflegte, er verlangt nicht mehr nach Bier und Butter.
Meine Zähne, die es gewohnt waren, feste Speisen zu kauen, sind nicht mehr imstande zu beißen. Mein Urin – der floss bisher in einem starken Strahl, aber jetzt ...
Meinen Sohn, den ich mit Butter und Milch versorgte, den kann ich nicht länger unterhalten.“


Herausgeschnitten aus einem Palastrelief aus Nimrud, abgebildet ist der assyrische Herrscher Assurnasirpall II. (883 –859 v.Chr.).

Ein Beter klagt: „Mein vergebliches Bitten hat meinen Rücken gebeugt wie bei einem alten Mann.“ In einem anderen Gebet heißt es: „Das Alter hat mich vor der Zeit bettlägerig werden lassen“ (7. Jh. v. Chr.). Zur verminderten Arbeitskraft eines Mannes bemerkt ein Brief: „Wir werden ihn als Türhüter zusammen mit den alten Männern und den Gebrechlichen Dienst tun lassen“ (17. Jh. v. Chr.).

Im Alten Testament heißt es von Isaak, er sei alt geworden und seine Augen trübe, sodass er nicht mehr sehen könne (Gen. 27:1), und von Jakob, seine Augen seien schwach geworden (Gen. 40:10), von Moses, er vermöge nicht mehr aus- und einzugehen (Deut. 31:2). Davon, dass man im Alter am Stock gehen müsse, spricht der Prophet Sacharja (8:4). Von Samuel wird gesagt, er sei alt und grau geworden; und in den Sprüchen Salomos (20:29) liest man, graues Haar sei die Zierde des Alters.
Als Zeichen von Alter werden auch das Fehlen sexuellen Vermögens beim Mann und die Menopause bei der Frau gewertet. Von David wird berichtet: „Als er aber alt geworden war und hochbetagt, konnte er nicht mehr warm werden, ob man ihn gleich in Decken hüllte. Da sprachen seine Diener zu ihm: ‘Man muss für unseren Herrn und König ein Mädchen suchen, eine Jungfrau, dass sie den König bediene und pflege; wenn sie dann an seinem Busen ruht, wird unser Herr und König warm werden’. So suchten sie in allen Gauen Israels nach einem schönen Mädchen und sie fanden Abisag von Sunem und brachten sie zum König. Das Mädchen war sehr schön, und sie pflegte und bediente ihn; aber der König wohnte ihr nicht bei.“ (1. Könige 1:1-4)

Amüsant mutet uns heute ein Brief des ägyptischen Pharao Ramses an einen hethitischen Herrscher an. Dieser hatte Ramses gebeten, einen Arzt nach Hattusa im anatolischen Hochland zu schicken, um das Unvermögen seiner Gemahlin, Kinder zu gebären, zu kurieren. Süffisant entgegnet nun Ramses, ob man denn nicht wisse, dass eine so betagte Dame wie die Gemahlin des Hethiterherrschers schlicht ihres fortgeschrittenen Alters wegen nicht mehr gebärfähig sei. So sieht es auch das Alte Testament, wenn es von Sara, Abrahams Frau, heißt: „Nun waren Abraham und Sara alt und hochbetagt, sodass es Sara nicht mehr nach der Frauen Weise ging.“

Aber es wurden nicht nur die negativen Seiten des Alters gesehen: „Abraham starb in schönem Alter und lebenssatt“ (Gen. 25:8). Vor allem die Einsicht, Weisheit und Lebenserfahrung der Alten werden hervorgehoben (Hiob 12:12; Jesus Sirach 25:8).

Lebenserfahrung und die Weisheit des Alters galten als ein allgemein anerkannter Faktor im gesellschaftlichen Leben. Sie spielten im Falle der „Ältesten“ als Institution der Rechtsprechung und in der dörflichen Selbstverwaltung eine wichtige Rolle – sowohl in Mesopotamien als auch in Israel und Juda.

Zwar lassen demographisch-biologische Faktoren auf eine sehr begrenzte Lebenszeit bei der Masse der Bevölkerung schließen, aber das genaue Alter von Personen war in administrativen und juristischen Texten nicht wichtig. Nur einmal, im Alten Testament, heißt es: „Alle wehrfähigen Leute in Israel von 20 Jahren und darüber ...“ (Numeri 1:3). In den Rationenlisten aus Mesopotamien werden die Empfänger lediglich jeweils einer Lebensalterstufe zugeordnet, deren letzte das Greisenalter bezeichnet. Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Lebensaltersstufe diente als Basis für die täglichen Rationen in den Palastwirtschaften (landwirtschaftliche Domänenwirtschaften), die für den Großteil der Bevölkerung gerade die diätetischen Mindesterfordernisse erfüllten. Die Worte des Jesus Sirach (30:26) „Sorge macht alt vor der Zeit“ gehören in diesen Kontext.

Mangels eindeutiger Angaben über Lebenserwartungen in der schriftlichen Überlieferung kann man nur vermuten, dass ein Leben bei kärglicher Ernährung und harter Arbeit von Jugend an in einem heißen Klima die meisten Menschen kein sehr hohes Alter erreichen ließ. Es gibt im Übrigen nur wenige publizierte systematische anthropologische Untersuchungen am Skelettmaterial von umfangreichen Begräbnisstätten, die über das Lebensalter der Bestatteten Auskunft geben können. Lediglich zwei derartige Veröffentlichungen vermitteln ein halbwegs repräsentatives Bild. Danach betrug das durchschnittliche Sterbealter der erwachsenen Bestatteten in einem Friedhof aus dem 1. Jt. im nördlichen Mesopotamien bei Frauen ca. 37, bei Männern ca. 43 Jahre. Für einen Friedhof im Libanon (14. Jh. v. Chr.) ergab sich ein durchschnittliches Sterbealter der erwachsenen Bestatteten von 50 bis 60 Jahren. Das würde im Einklang stehen mit dem folgenden, der mesopotamischen Weisheitsliteratur zuzurechnenden Text:

„Vierzig Jahre bedeutet Höhepunkt des Lebens, fünfzig Jahre bedeutet ein kurzes Leben,
sechzig ein reifes, siebzig ein langes Leben,
achtzig Jahre ein hohes (und) neunzig ein extrem hohes Alter.“


Bronzestatue mit der Inschrift: „Für Amuuru, seinen Gott, hat Lu-Nanna, für das Wohlergehen das Hammurapi, des Königs von Babylon, und für sein eigenes Wohlergehen, diese Beterstatuette aus Kupfer und einem goldplatierten Gesicht angefertigt.“

Im Alten Testament heißt es ähnlich, aber mit einer wertenden Note: „Unser Leben währet siebzig Jahre, und wenn es hoch kommt, sind es achtzig Jahre, und was ihr Stolz war, ist Mühsal und Beschwer.“ (Ps. 90:10) Nur von Mitgliedern der herrschenden Eliten sind extrem hohe Lebenszeiten urkundlich bezeugt. Dafür waren sicher günstigere Lebensumstände ausschlaggebend, als sie dem größeren Teil der Bevölkerung zuteil wurden. Die Mutter des Herrschers Nabonid, der von 555–539 v. Chr. regierte, gibt ihr Alter in einer Art autobiographischem Text mit 104 Jahren an. Ein Schreiber, der etwa zur gleichen Zeit lebte, übte nach Ausweis der Urkunden, die er verfasste, allein 68 Jahre lang seinen Beruf aus. Wenn man seine Kindheit und Jugendzeit hinzurechnet, dürfte er bis etwa in sein 90. Lebensjahr hinein tätig gewesen sein. Von mehreren mesopotamischen Herrschern weiß man, dass sie 50 und mehr Jahre lang regiert haben. In einem Fall betrug die Regierungszeit eines Herrschers 60 Jahre! Wenn man bedenkt, dass vor ihm sein Bruder bereits 19 Jahre regierte, dürfte ersterer am Ende seiner Regierungszeit weit über 80 Jahre alt gewesen sein.
So scheint es nicht unrealistisch gewesen zu sein, wenn ein extrem hohes Alter immer wieder als frommer Wunsch für einen Herrscher formuliert wurde. Und so kann schließlich der berühmte Hammurapi am Ende eines langen Lebens zurückblicken und sagen:

„Ich habe die Feinde im Norden und Süden vernichtet.
ich habe die Kämpfe beendet. Ich habe dem Land Wohlstand gegeben.
Ich habe die Bevölkerung im grünen Weideland in Ruhe leben lassen.
Ich habe niemandem erlaubt, sie zu belästigen.
Ich habe die Menschen aus Sumer und Akkad an meine Brust gedrückt. Dank meiner Beschützerin, der Göttin Ischtart, haben sie in Wohlstand gelebt. Ich habe nicht aufgehört, sie in Frieden zu führen.
Dank meiner Weisheit hab ich sie beschützt.“

Wenn man sich beim Nachdenken über das bislang Gesagte fragen mag, was sich bezüglich des Alters in den inzwischen vergangenen Jahrtausenden bis heute verändert habe, wird es je nach Standpunkt für erstaunlich, traurig oder natürlich gehalten werden, dass die meisten Jahrtausende alten Aussagen zum Alter noch immer aktuell sind. Der eben erwähnte, noch mit 90 Jahren sein verantwortungsvolles Amt ausübende Schreiber aber zeigt, dass eines inzwischen verlorengegangen zu sein scheint: die Wertschätzung des Alters als eines Standes, der mit Erfahrung und Weisheit der Gesellschaft noch Wichtiges zu geben vermag; und es vollzieht sich eine Ausgrenzung des Alters auf allen Gebieten.


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