elfenbeinturm.net
fundiert
Sonne
Inszenierung
Leben
Impressum
Archiv
Als das Kino noch Lichtspielhaus hieß

Filmlicht transportiert Emotionen und Philosophien

Interview mit Gertrud Koch

Nosferatu, Der dritte Mann, Lost Highway – bei großen Filmen genügt die Nennung des Titels, um starke Bilder wachzurufen. Oft bleiben einzelne Szenen oder ganze Filme wegen ihres besonderen Lichtes unvergesslich. Die Filmwissenschaftlerin Gertrud Koch erzählt, wie derartige Wirkungen erzeugt werden und welche philosophischen Anschauungen dahinter stehen. Gertrud Koch ist Professorin am Seminar für Filmwissenschaften an der Freien Universität Berlin.

fundiert: Wie setzt sich die Filmwissenschaft mit dem Thema Licht auseinander?

Koch: Der Film ist auf das Medium Licht von der Aufnahme bis zur Aufführung unmittelbar angewiesen. Dass er eine Lichtkunst ist, ging schon ganz früh in die Semantik ein, mit Wörtern wie „Lichtspielhaus“. Selbst modernste Video- und Computeranimations-Filme werden in den Kinos noch klassisch projiziert. Die Filmwissenschaft interessiert sich allerdings mehr für die Rolle des Lichts in der Bildgestaltung vor dem Hintergrund der Kunstgeschichte. Wir fragen, wie wirkt das Licht in der Bildkomposition modellierend? Wie wird es eingesetzt, um vor der Kamera Räume zu strukturieren, zu akzentuieren?

fundiert: Sie betrachten Filmeinstellungen quasi wie „lebende Bilder“?

Koch: Filmbeleuchtung verbindet die Gesetze der Bildkunst mit der Tradition der Bühnenästhetik. Aus der Malerei stammt z. B. das piktoriale Problem, das der Kunsthistoriker Erwin Panofsky beschreibt: Eigentlich ist die Luft das Medium des Lichtes. Das heißt die zentralperspektivisch konstruierten Räume, wie sie seit der Renaissance gemalt werden, müssen malerisch gefüllt werden. Effekte, die Plastizität suggerieren, „luftige Lichtreflexe“, sind ein enorm kompliziertes Mittel der Malerei, um konstruierten Räumen glaubhafte Tiefenwirkung zu verleihen und von der Wirkung rein geometrischer Projektionen wegzukommen. Auch für das Filmische spielt die Lichtmodellierung eine große Rolle, da der Film mit einem optischen Aufnahmesystem arbeitet, und das lebt von Perspektiven, von suggestiver Darstellung des Dreidimensionalen in einer Ebene.


Rechts: Murnau malt Innenwelten auf die Leinwand (Faust, 1926, mit G. Ekman, E. Jannings). (Foto: Stiftung Deutsche Kinemathek Berlin)

fundiert: Es geht aber um mehr als optimale Erkennbarkeit des Gezeigten?

Koch: An bewusst eingesetztem Licht kann man oft die Aussage eines Films ablesen. Ganze Stilrichtungen lassen sich über die Analyse der Lichtsetzung beschreiben. Als berühmtestes Beispiel drängt sich der Film Noir auf, der sogar nach der Licht- und Schattenästhetik benannt ist. Typischerweise kommt darin das Licht oft leicht von unten und dynamisiert das Bild intern. Ähnliches kennen wir auch aus der deutschen Filmgeschichte, aus dem Expressionismus. Dafür steht beispielhaft F. W. Murnau mit „Faust“ oder „Nosferatu“.
Solche markanten Lichtsetzungen bringen uns auf die andere große Metapher des Films, die ohne Licht nicht denkbar ist: den Schatten. Im Chinesischen heißt Film „Elektrische Schatten“, womit die Parallele zur Projektions-Dimension des Schattenspiels gezogen wird. Auch dieser Sprachgebrauch verweist auf die enorme Bedeutung der Ausleuchtung, beispielsweise von Gesichtern, für die Modellierung, die morphologische Struktur zweidimensionaler Bilder.

fundiert: Wie hat sich der Einsatz des Lichtes im Laufe der Jahrzehnte verändert?

Koch: Das sollte man nicht streng chronologisch betrachten, sondern nach den Stilformen, die sich in verschiedenen Genres quer durch die Filmgeschichte herausgebildet haben. Auch heute greifen noch viele Filme, wie z. B. die so genannten Neo-Noir-Filme, auf diese alte Licht- und Beleuchtungsästhetik zurück. Ein ganz anderer Lichtstil kommt aus dem französischen Film: Da haben viele Filme eine extrem luzide Charakteristik, was den Eindruck eines transparenten Lichtes schafft. Experten bezeichnen das als „Aquariumslicht“.

fundiert: Was machen die französischen Filmer anders?

Koch: Man setzt kaum harte Schlagschatten und grelle Spots ein wie etwa der Film Noir. Alles wird sehr gleichmäßig ausgeleuchtet, so dass eher schattenlose Räume entstehen. Die haben aber in sich eine eigentümliche Transparenz und erzeugen damit den Effekt eines von innen beleuchteten Aquariums. Diese gewisse Transparenz-Ästhetik hat viel mit kühlen Farben, mit Blautönen zu tun, ähnlich wie die Luftperspektive in der Landschaftsmalerei.
Das wäre das nächste große Kapitel: dass Farben im Licht eine besondere Wirkung entfalten. Mit der Einführung des Farbfilms kam zu den Fragen der Licht-Schatten-Dramaturgie eine weitere Beleuchtungsdimension hinzu, nämlich dass nicht alles Licht alle Farben gleich gut hervorbringt.

fundiert: Ist mit dem Schwarzweißfilm auch der Einsatz von Filtern bedeutungslos geworden, mit denen man früher bestimmte, starke Kontraste betonte?

Koch: Nein, es wird auch im Farbfilm immer noch viel mit Filtern gearbeitet. Francois Truffaut zeigt in La Nuit Americaine/Die Amerikanische Nacht (F/I, 1973), wie „Nachtaufnahmen“ bei Tag mit bestimmten Farbfiltern gedreht werden. Das ist aber nur eine Möglichkeit, die Bildwirkung zu manipulieren. Im Herstellungsprozess steht vor der Projektion noch die Herstellung der Kopien. Bei der Umkehrung des Films vom Negativ auf Positive sind im Kopierwerk viele Helligkeits- und Farbeinstellungen möglich, die dem Film einen bestimmten Charakter geben. Das muss man oft erst durch Versuche und Irrtümer ausprobieren. So mancher Film wird zur Änderung der Werte zurückgegeben. Die Technicolor-Ästhetik der 50er Jahre mit ihren „pop-artigen“, knallbunten Farben ist das auffälligste Beispiel für den Einfluss des Kopierwerks.

fundiert: In welchem Verhältnis stehen Beleuchtung, Regie und Kameraführung beim Filmen?

Koch: In der Regel hat der Kameramann als Spezialist entscheidenden Einfluss auf das Licht. Er wird die Bildbestimmung vornehmen, er kann dem Beleuchter sagen: „Für diese Großaufnahme brauche ich da mehr Licht und hier ist ein falscher Schatten im Bild, ihr müsst das Licht so und so filtern.“ Das kann der Kameramann am Bildfenster gut einschätzen und er wird auch den Regisseur darauf aufmerksam machen. Das Ganze funktioniert nur im ständigen Austausch.

fundiert: Aber die fotografische Qualität wird letztlich dem Kameramann zugerechnet?

Koch: Ja. Es gibt Kameraleute, die für ihren Stil zu Recht berühmt sind, und dabei spielt die Lichtsetzung eine ganz große Rolle. Regisseure suchen sich ihre Kameraleute oft nach dem Lichtstil aus, der ihnen vorschwebt. Einige der Kameramänner des Neuen Deutschen Films drehen ja inzwischen in Hollywood, umgekehrt hat
z. B. Wim Wenders in seinen Filmen gerne mit dem berühmten französischen Lichtkünstler Henri Alekan gearbeitet.

fundiert: Das klingt alles sehr aufwendig.

Koch: Aber es gibt keine Kinematographie ohne Reflexion auf das Licht. Sonst kommen nur griesige und flache Bilder ohne Eindruck von Raumtiefe heraus, wie sie das Nachmittagsfernsehen täglich zeigt. Bei billigen, schnell gemachten Fernsehserien wird oft nachlässig oder gar unprofessionell mit dem Licht umgegangen. Die benutzen fast ein Einheitslicht, zentrale Lampen wie bei einer einfachen Bühnenausstattung. Licht setzen ist nicht nur sehr zeitaufwendig, es erzeugt auch eine enorme Temperatur. Das heißt, wenn man mit starken Lichtquellen arbeitet, muss man die Schauspieler öfter nachschminken, weil die Maske verläuft. Oft liegt es an solchen praktischen Problemen und Kostenfaktoren, manchmal aber auch am Desinteresse von Regisseuren und Kameraleuten, die nur darauf achten, dass die Standardwerte erfüllt sind. Man kennt das aus der Laienfotografie: Da ist auch nicht jeder bemüht, optimal auszuleuchten. Es gibt verschiedene Komplexitätsgrade, und nicht jeder hat einen Sinn dafür.

fundiert: Wo Licht für eine besondere Ästhetik eingesetzt wird, wie im Film Noir oder im „Aquarium“, ist es da immer als ein Stilmittel des Artifiziellen gemeint? Ist das ein philosophischer Gegensatz zu Konzepten wie der Dogma-Ästhetik, die den Verzicht auf Kunstlicht verlangt, im Sinne von „Natur pur“?

Koch: Nein, filmphilosophisch geht es weniger um die Unterscheidung zwischen natürlichem Licht und künstlich erzeugtem Licht. In filmästhetischen Programmatiken, wie bei der Dogma-Gruppe, geht es nicht um „Natur versus Kunst“, sondern um bestimmte Stile, und Stil ist per se künstlich. Die Dogma-Idee, Lichtsetzung ganz zu verbieten, ist eine stilistische Vorentscheidung dafür, die Kamera in vorgefundenen Räumen und Bedingungen einzusetzen. In solche ästhetischen und stilistischen Formen können allerdings durchaus philosophische Gedanken eingehen. Mit dem Philosophen Gilles Deleuze könnte man sagen: In den Bildern stecken auch Denkformen.

fundiert: Wie kann Licht eine Philosophie widerspiegeln?

Koch: Das Licht ist eine der ganz großen Thematiken der Philosophie seit der Antike. Dort gab es etwa die Vorstellung, dass unsere Augen wie Scheinwerfer funktionieren, das heißt, wir bringen das Licht quasi auf die Gegenstände und sehen damit im Lichte unserer Augen überhaupt erst die physische Welt. Das ist eine philosophische Medientheorie des Lichts, die wenig mit Physik, Wahrnehmungspsychologie oder Augenoptik zu tun hat.
Als dann die ersten Apparaturen zur Erzeugung von Lichtbildern entwickelt wurden, geschah das mit Blick auf lichtmetaphysische Fragen. Der Universalgelehrte Athanasius Kircher beschäftigte sich damit im 17. Jahrhundert und fragte, inwiefern das Licht ein Medium der Täuschung, der Magie, der Transzendenz sein kann, ein Medium, das uns erlaubt, Blicke in eine Welt von Erscheinungen zu werfen.


Carol Reed – Der dritte Mann. Einen Oscar gewann nur der Kameramann, Robert Krasker (Foto: Stiftung Deutsche Kinemathek Berlin)

fundiert: Und was ist heute noch davon im Film sichtbar?

Koch: Die Idee, das Licht als ein Medium der Erhellung zu sehen, die Illumination als eine Form der Aufklärung oder des inneren „Erhelltseins“ – das sind philosophische Anschauungen, die sich durch die Geistesgeschichte bis in die aktuelle Filmphilosophie ziehen. Was ist denn die Differenz zwischen dem expressionistischen Film und dem klassischen französischen Film? Im expressionistischen Film, mit seiner artifiziellen Licht-Schatten-Dramaturgie, ist eine Betonung des Ausdrucks und eine sich im Bild expressiv aufladende Subjektivität wichtig, während dem französischen Beispiel ein anderes Transzendenz-Modell zu Grunde liegt: Eine Welt, die wie von innen beleuchtet erscheint und sich selbst zeigt. Vor dem Hintergrund des französischen Aufklärungsdiskurses gewinnt das Licht einen deiktischen, also hinweisenden Charakter: Es wird etwas so ausgeleuchtet, dass alles zum Vorschein kommt – das wäre sozusagen die „Aquariums-Ästhetik“.

fundiert: Aufklärerische, rationale Ästhetik – das erinnert an Wissenschaft, an Käfigtiere in einem Versuchsaufbau...

Koch: Der philosophische Unterschied liegt in der Frage, was Film leisten soll: Soll er eher aufklärerisch ein Gesamtbild einer Gesellschaft, einer Lebensform erfassen, wie etwa bei Claude Chabrol, oder soll er ein expressives Medium sein, das den natürlichen Raum aufsprengt in Teilstücke, die keine Kohärenz des Diskurses mehr haben? Das sind völlig unterschiedliche Reflexionen, die unter anderem auch durch das Licht als Medium der Darstellung ausgedrückt werden.

fundiert: Seit wann beschäftigt man sich in Deutschland wissenschaftlich mit dem Thema Film?

Koch: Die Dinge haben sich hier nicht linear entwickelt. Es gab schon seit den frühen Zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts Reflexionen auf den Film als neues Phänomen, das sowohl in der Philosophie als beispielsweise auch in der Psychoanalyse Beachtung fand. Die Begründung einer Filmwissenschaft als akademisches Fach kam bei uns aber erst sehr spät. Die frühen Filmtheoretiker wie Balász, Arnheim, Kracauer, vielleicht noch Benjamin, die alle nicht im akademischen Bereich gearbeitet haben und zum größten Teil emigrieren mussten, haben alle woanders weitergearbeitet, wenn sie nicht umgekommen sind. Insofern sind die Traditionslinien gebrochen.

fundiert: Wann begann denn die akademische Filmforschung in Deutschland?

Koch: Filmwissenschaft als akademisches Fach ist hier sehr spät und zögerlich wieder eingeführt worden – ein „Re-Import“ aus dem anglo-amerikanischen Raum. Auf internationalem Niveau kann sie etwa seit den achtziger Jahren mitreden. In der Bundesrepublik wird sie unter anderem in Frankfurt, Berlin, Hamburg, München, Mainz und Jena betrieben – und zwar mit sehr unterschiedlichen Gewichtungen. In Bochum, wo sie anfangs mit der Theaterwissenschaft zusammengefasst war, habe ich sie mit aufgebaut und zum eigenständigen Fach entwickelt. Dasselbe habe ich jetzt auch in Berlin getan. Wir an der FU Berlin versuchen ausdrücklich, ein eigenes filmwissenschaftliches Programm beizubehalten, in gewisser Arbeitsteilung mit anderen Hochschulen. Das Fach hat überall nur kleine Institute mit ein, zwei Professuren – da ist es natürlich sinnvoll, wenn nicht alle alles machen. Deshalb betreibt z. B. die Berliner Humboldt-Universität Medienwissenschaft und die Freie Universität Filmwissenschaft.

fundiert: Und was tut sich aktuell?

Koch: Im Moment ist die Filmwissenschaft ein sehr lebendiges Fach. Da gibt es Entwicklungen, die in ganz neue Fächerkombinationen führen: Die Medienwissenschaften behandeln Film als ein visuelles Medium unter anderen. Zunehmend müssen filmwissenschaftliche Themen in die Kunstgeschichte integriert werden und das Filmische ist über die Einflüsse der Videokunst als ein ästhetisches Modell mit zu berücksichtigen. Da gibt es Grenzüberschreitungen sowohl im Bereich des Gegenstandes als auch im Theoretischen.

fundiert: Womit befasst sich denn die Filmtheorie?

Koch: Filmtheorien gibt es mit ganz unterschiedlichen Ansätzen und Paradigmen-Kernen. Sehr prominent ist zur Zeit die kognitivistische Filmtheorie, die sich an die Kognitionspsychologie anschließt. Davor war die psychoanalytische Filmtheorie dominant. Die Psychoanalyse hat ja als eine der ersten Psychologien sehr stark auf die visuelle Komponente im Denken und im Bewusstsein verwiesen. Freuds Traumtheorie ist auch eine relativ interessante Bildtheorie und das machte sie interessant für die Filmtheoretiker. Außerdem hat Film etwas mit Zurschaustellung zu tun, also auch mit der Positionierung des Zuschauers als einer Art Voyeur. In Alfred Hitchcocks Rear Window/Fenster zum Hof (USA, 1954) wird das sogar selbstreferentiell zum Gegenstand: Ein Mann sitzt im Rollstuhl und beobachtet mit dem Fernglas das Leben in den Fenstern gegenüber. Das war natürlich eine Domäne der Psychoanalyse: Zu erklären, wie es zu dieser großen Neugier und Voyeurslust kommt, etwa durch bestimmte Aspekte des Sehens, der Wahrnehmung von Differenzen wie dem Geschlechterunterschied. Zudem redet Freud selbst immer wieder von psychischen Vorgängen in visuellen Ausdrücken, beispielsweise wenn er von „Projektion“ spricht.


„Licht kann paradigmatische Denkbilder erzeugen“ – Der dritte Mann (England, 1949) (Foto: Stiftung Deutsche Kinemathek Berlin)

fundiert: Bitte nennen Sie uns einige Filme, in denen besonders interessant mit dem Licht umgegangen wird.

Koch: Ich habe ja schon einzelne Kameraleute erwähnt, deren Werk im Übrigen in der Filmgeschichtsschreibung wie Autorenwerke behandelt werden. Sie finden da ganze Monographien zu einzelnen Lichtbildnern. Besonders zu nennen wäre Claude Chabrol, der seit den 60er Jahren miniaturartige Portraits von Gesellschaften in ein besonderes, „aufklärerisches“ Licht tauchte – wie zeitgenössische Historienbilder.

fundiert: Haben Sie auch ein Beispiel für das Licht, das Innenwelten ausdrückt?

Koch: Die vielleicht dramatischsten Lichteffekte finden sie in Filmen wie Carol Reeds „Der dritte Mann“ (England, 1949). Darüber habe ich auch selbst gearbeitet. Den einzigen „Oscar“ für diesen Film bekam der Kameramann, Robert Krasker. Er benutzt quasi ein Noir-Licht für ganz massive, existenzielle Symbole. In dem Film gibt es eine legendäre Einstellung: Der Hauptdarsteller Orson Welles steht im Kanal, und das Licht fällt von oben durch das Abflussgitter auf ihn. Da zeigt ihn schon das Licht als Gefangenen seiner eigenen Situation und Existenzform. Das Raster des Kanaldeckels stempelt ihn zum Gefangenen, während er sich immer als Herr in diesem Reich der Dunkelheit sah. Solche Denkbilder werden nur durch Lichteffekte in einer einzigen Einstellung erzeugt und wirken geradezu paradigmatisch.


„Eine Art negative Lichtästhetik“ – David Lynch verstärkt mit trübem Licht die Wirkung der Dunkelheit (Mulholland Drive, USA 2001) (Foto: Concorde-Film)

fundiert: Und wie steht es mit dramatischen Lichteffekten in neueren Filmen?

Koch: Da finde ich ad hoc nicht so leicht Beispiele für Lichtexperimente. Die neueren Filme sind ja „hybrid“: Sie werden zwar noch mit fotografischen Optiken und Linsensystemen, aber mit elektronischen Kameras aufgenommen und durchlaufen dann die elektronische Nachbearbeitung. Dadurch geht oft der letzte Rest an „Licht-Metaphysik“ verloren. Das mag auch seine Berechtigung haben, aber das Licht wirkt mitunter eigenartig unbestimmbar. Die Bilder sind anders aufgebaut, alles wird noch sehr viel artifizieller, berechneter, und wo faszinierende Lichtaspekte vorkommen, beispielsweise in Steven Spielbergs A.I. – Aritificial Intelligence (USA, 2001), wird es doppelt artifiziell: analog und digital.
A.I. ist ein Film mit sehr eindrucksvollen Unterwasserszenen, wo mit der medialen Differenz von Luft und Wasser gearbeitet wird. Die so genannte „Swimming-Pool-Beleuchtung“ ergibt in Totalen spektakuläre Effekte, wenn das Schwimmbad schillernd die Leinwand ausfüllt. Das nutzt Spielberg in der großen Sequenz, wo ein beseelter Roboter, dargestellt von Haley Joel Osment, auf den Grund des Hudson Rivers sinkt und dort eine Jahrmarktfigur findet, von der er seine Rettung erhofft. Da wird durch das Licht geradezu eine christologische Erlösungsfantasie nahe gelegt. Die Nutzung solcher Effekte verschwindet natürlich auch im Computerzeitalter nicht. Sie bekommt aber einen anderen Stellenwert, weil sie ja einer doppelten Artifizialität des Analogen und des Digitalen unterliegt.

fundiert: Und wo ist in aktuellen Filmen viel Schatten?

Koch: Bei David Lynch zum Beispiel. Der setzt das Licht großartig für eine typische Atmosphäre ein. Lost Highway (USA, 1996) beginnt ja schon mit einer Einstellung, in der das Licht den Raum nicht mehr füllen kann, die Ränder verlaufen ins Schwarze. Aus seinem Film Mulholland Drive (2001) ist mir etwas wie eine negative Ästhetik des Lichts im Gedächtnis geblieben, eine Sequenz, die im lichtlosen Nichts endet. In den neueren Filmen wird sehr reflektiert und anspielungsreich mit den alten lichtmetaphysischen Grundlagen des Kinos umgegangen.

fundiert: Frau Professor Koch, wir danken Ihnen für das Gespräch.

Seitenanfang

Es werde Licht!
Die Entstehung des Raumes aus dem Licht im Theater – Licht als Mittel der theatralen Inszenierung

Das Unsichtbare sichtbar machen
Die Lichtgeister des Jacopo Tintoretto

Himmelslicht
Spiegelbild des Erdklimas

Als das Kino noch Lichtspielhaus hieß
Filmlicht transportiert Emotionen und Philosophien