FU Berlin

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Magischer Heilzauber

Jüdische Magie im Kampf gegen Seuchen in der Spätantike und frühem Mittelalter

Irina Wandrey

Schon Abu al-Sayyid im Ägypten des 11. Jh. versuchte sich mit Hilfe eines auf seinen Namen ausgestellten Amuletts vor Schaden und Krankheiten zu schützen. Die Angst vor Krankheit und frühem Tod und der Wunsch, diese abzuwehren, bildet eines der wichtigsten Themen im Corpus hebräischer und aramäischer magischer Texte aus Spätantike und Mittelalter. Darin, wie auch in den Methoden, sich Gesundheit und langes Leben zu sichern, unterschied sich die jüdische Bevölkerung der Spätantike und des Mittelalters nicht wesentlich von den Angehörigen anderer Religionen und Volksgruppen im Mittelmeerraum.



Auf dem Amulett heißt es:

[Mit deinem Namen, Herr der Heerscharen, Gott Israels, der (über) den Keruvim sitzt, dem unaussprechlichen Namen, mit siebzig Namen, gnädiger und barmherziger Gott, zerschmetternder und heilender Gott, schicke Heilung und erbarme dich des (Abu al-Sayyid). Sende ihm völlige Heilung um deiner Huld und Wahrhaftigkeit willen. Auf dich vertraue ich, Gott Israels, antworte mir in der Stunde meiner Not.]

Ich beschwöre euch ihr Geister und weiblichen Dämonen,
böser Blick, böser Schlag, böses Omen und alle Arten von Unglücksfällen,
mit dem Namen Ich bin, der ich bin (Ex 3,14), der die ganze Welt erschüttert;
mit dem Namen, den das Meer hörte, das sich daraufhin teilte;
(mit dem Namen), den das Feuer hörte, das (daraufhin) erlosch;
(mit dem Namen), den die Felsen hörten, die (daraufhin) zerbarsten;
(mit dem Namen), den [der Stein] hörte, der (daraufhin) zersprang:
So geht hinaus, weicht, entfernt euch und rührt [Abu al-Sayyid ben Yeshua’] nicht an, von diesem Tag an bis in Ewigkeit. Amen. Amen. Amen. Sela.
Ich beschwöre euch, heilige Engel, die ihr dem Thron der Herrlichkeit dient, daß ihr den Träger dieses Schriftstückes beschützen möget, (den) Abu al-Sayyid, und ihn errettet von jeder Krankheit, von jeder Strafe, von jeglichem Zwang, vom bösen Blick, von (jedem) bösen Gebrechen.

Möge sich an ihm (der folgende Vers) erfüllen:

Der Herr möge dich vor allem Bösen behüten, er möge deine Seele behüten. (Ps 121,7)
Der Herr wird alle Krankheiten von dir nehmen, und keine der bösen Plagen Ägyptens, die dir bekannt sind, wird er dir auferlegen, sondern all denen geben, die dich hassen. (Dtn 7,15)
Der Herr segne dich und schütze dich, der Herr erleuchte vor dir sein Angesicht und sei dir gnädig, der Herr wende sein Angesicht zu dir und gebe dir Frieden. (Num 6,24-26)

 

(Edition und Übersetzung des Geniza-Fragments
T.-S. AS 143.427 in MTKG I)

Foto: Cambridge University Library, T.-S. AS 143.427


Die Kairoer Geniza

Der hebräische Ausdruck Geniza bezeichnet einen zu einer Synagoge gehörigen Raum, in dem alte, aus dem Gebrauch gekommene Bücher bzw. Codices und Schriftstücke religiösen Inhalts gelagert wurden, weil man sie wegen des in ihnen niedergeschriebenen Gottesnamens nicht vernichten durfte. Ende des 19. Jh. wurde in der Ben Esra Synagoge in Alt-Kairo (dem mittelalterlichen Fustat) ein solcher Raum entdeckt, angefüllt mit religiösen Schriften, Briefen und Verträgen, Berichten und Protokollen, Eheverträgen und Scheidungsbriefen. Dokumente jeglicher Art aus fast zehn Jahrhunderten, die in zahlreiche europäische und amerikanische Bibliotheken gelangt sind. Die lange Zeitspanne, sowie die Tatsache, dass die gefundenen Schriftstücke alle Lebensbereiche der jüdischen Gemeinde Alt-Kairos umfassen und das jüdische Leben in Nordafrika und Palästina bis hin nach Sizilien, Spanien, dem Jemen und Indien beleuchten, verleihen diesem Handschriftenfund einen kaum zu überschätzenden historischen Wert.


Salomon Schlechter in der Cambridge University beim Studium der dort befindlichen Sammlungen von Handschriften und Handschriftfragmenten aus der Kairoer Geniza der Ibn-Esra Synagoge in Alt-Kairo (1898).

Die Suche nach Liebe

Im Mittelpunkt der wissenschaftlichen Erschließung der magischen Texte aus der Kairoer Geniza im Rahmen des Forschungsprojektes „Jüdische Magie der Spätantike“ (Leitung Prof. Dr. Peter Schäfer, FU Berlin, Prof. Dr. Shaul Shaked, Hebräische Universität Jerusalem) standen die Fragen nach der Herkunft bestimmter magischer oder medizinisch-magischer Traditionen, nach der wechselseitigen Beeinflussung von Gebets- bzw. Beschwörungsformularen, nach der Interdependenz von Religion und Magie sowie von Magie und Medizin. Die Edition, Übersetzung und Kommentierung der zahlreichen magischen Textfragmente – ausgewählt wurden Fragmente aus den beiden umfangreichsten Sammlungen von Geniza-Fragmenten, der Cambridge University Library (UK) und des Jewish Theological Seminary New York – verblüffte auf vielfältige Weise.
Das Spektrum der als magisch zu klassifizierenden Texte ist sehr groß. Zwar war Magie grundsätzlich verboten (Dtn 18), aber in antiker und frühmittelalterlicher Zeit weit verbreitet und toleriert. So finden sich neben Zeugnissen angewandten Zaubers, wie Amuletten und Schadenszaubern, auch magische Handbücher, in denen Rezepte für die unterschiedlichsten Bedürfnisse zusammengestellt wurden: Da geht es um Identifikation von Dieben, Befreiung aus dem Gefängnis oder das Auffinden von Schätzen, da sucht man die Liebe einer Frau oder eines Mannes zu gewinnen, da bittet man um Träume, da werden Rezepte, für alle Bereiche des Lebens wie Gesundheit und Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung, das soziale Zusammenleben innerhalb der Familie und mit den Nachbarn, das Verhältnis zur Obrigkeit, Liebe und Beruf ausgestellt.
Ebenso werden Amulette zur Gewinnung von Gunst oder Liebe und sehr häufig zur Abwehr von Krankheiten und anderen Bedrohungen oder generell dem bösen Blick angefertigt. Aber auch das Gegenteil, der Schadenszauber, der die Erkrankung oder den Tod eines Menschen oder auch die Entzweiung anderer zum Ziel hat, ist vielfach belegt:

(Um) Fieber zu schicken:
Geprüft.
Nimm ein Ei, das am sechsten Tag gelegt wurde, und schreibe darauf:
Mit dem Namen Kafshi’el, Nuri’el (Engelnamen):
‘Ewiges Feuer brenne über N. N. (und) verlösche nicht’ (Lev 6,6).
Mit dem Namen Kafshi’el Nuri’el Tahari’el Tahali’el Dalqi’el Shamshi’el (Engelnamen):
Körper, Fleisch, Seele und Sehnen sollen zu Feuer und Brand werden.

(Übersetzung des Geniza-Fragments T.-S. Ar. 44.26 in MTKG III)

Wichtige Ergebnisse dieses Projektes betreffen die Überlieferungsgeschichte. Einerseits konnte nachgewiesen werden, dass es innerhalb der jüdischen Literatur eine ununterbrochene Kontinuität magischer Traditionen von der hellenisierten Antike, über die Spätantike bis ins europäische Mittelalter und die Neuzeit hinein gibt. Die Namen von Engeln oder Dämonen, die beschworen werden, die materia medica (Kräuter, Mineralien, „Dreckapotheke“: Urin, Eselshufe etc.) oder magica (geheime Namen, Bibelverse) und bestimmte Beschwörungsformeln ähneln einander sehr, und in vielen Fällen ist eine direkte Abhängigkeit nachweisbar. Die Durchlässigkeit zwischen magischen Texten und anderen literarischen Gattungen ist sehr groß. Andererseits hat sich gezeigt, dass es einen interkulturellen und interreligiösen Austausch gegeben hat, der sich durch motivische und sprachliche Abhängigkeiten nachweisen lässt. So finden sich zahlreiche Parallelen in den griechischen Zauberpapyri der Spätantike. Ähnliches gilt für mittelalterliche christliche oder islamische magische Texte.

Medizin

In der Geniza sind viele arabische und einige hebräische schulmedizinische Traktate gefunden worden, Anfragen von Patienten und Briefe von Ärzten, Rezepte und Kräuterbücher, die es ermöglichen, den Kenntnisstand der mittelalterlichen Medizin und Pharmazie sowie ihre Verbreitung und Inanspruchnahme durch weite Kreise der Bevölkerung zu rekonstruieren (vgl. Isaacs). Als Beispiel sei hier die Anfrage eines Patienten an seinen Arzt zitiert:

In deinem Namen, oh gnadenreicher (Gott).
Mein Herr, der leitende Arzt Abu Rida.
Möge Ihre Exzellenz wissen, dass mich Kälte und Hitze von Sonntag an bis zu dieser Stunde zittern lassen. Ich kann nichts Essbares zu mir nehmen. Gestern habe ich Brotkrumen in zwei kleine Bällchen gerollt, aber nachdem ich ungefähr eine Viertelunze Brot gegessen hatte, habe ich bis Mitternacht aufgestoßen, und glaubte, der Schluckauf würde nicht mehr aufhören. Dann verlangte meine Seele nach ein wenig gebratenem Käse, aber ... (hier bricht der Text ab)
Seit weiteren drei Tagen hat mich der Ruf der Natur nicht ereilt. Fieber, Kopfschmerzen, Schwäche und Zittern verlassen mich den ganzen Tag lang nicht. Außerdem kann ich nichts zu mir nehmen, nicht einmal Zitrone mit Zucker. Ich kann mir auch keinen Einlauf verabreichen.
Also, was verschreiben Sie mir? Ich trinke sehr viel Wasser.
Möge Ihr Wohlergehen sich steigern und niemals geringer werden.
Und (in) Frieden.

(Geniza-Fragment T.-S. AS 152, fol. 4; dtsch. Übers. nach Goitein V, 105)


Amulett für Neugeborene zur Abwehr der Kinder schädigenden Dämonin Lilith

Diese Dokumente zeigen eine auf höchstem Niveau stehende Heilkunst. Sie belegen den gegenseitigen Austausch und die Zusammenarbeit von jüdischen und muslimischen Gelehrten, die die klassischen griechischen Autoren wie Hippokrates und Galen in arabischen Übersetzungen studieren und konsultieren konnten. Dieser Austausch ist durchaus charakteristisch für eine durch das Arabische als lingua franca geprägte Gesellschaft. Aus jüdischer Perspektive betrachtet, erscheint dies nicht selbstverständlich, denn ein wissenschaftlicher Umgang mit Krankheit, Siechtum und Tod hat sich im Judentum erst spät durchgesetzt.

In der hebräischen Bibel wird eine ablehnende Haltung gegenüber der Medizin und den Ärzten eingenommen. Gott gilt als Verursacher und auch alleiniger Heiler jeglicher Erkrankung: „Ich bin der Herr, dein Arzt“ (Ex 15,26). Krankheiten werden als göttliche Strafe für sündiges Verhalten begriffen. In hellenistischer und römischer Zeit dagegen wird die Wissenschaft der Medizin positiver betrachtet. Tatsächlich aber legen die Quellen (rabbinische Literatur, lateinische Literatur, Epigraphik) nahe, dass es nur wenige jüdische Ärzte gab. Auch wurde keine originäre jüdische Medizin entwickelt, sondern die antike griechische, in der Tradition des Hippokrates stehende Schulmedizin bzw. die in Umlauf befindlichen Iatrosophia rezipiert.
Erst seit dem 10 Jh. sind eigene jüdische medizinische Schriften bekannt (z.B. die Rezeptsammlung des Shabbtai Donnolo aus dem 10. Jh.) und erst im frühen und hohen Mittelalter entsteht das klassische jüdische Berufsbild des Arztes.

Volksmedizin

Sowohl innerhalb der Bevölkerung des antiken Griechenlands als auch bei den in der Geniza dokumentierten Bevölkerungsgruppen erreichten nur ca. fünf Prozent der Bevölkerung ein Alter von 70 oder mehr Jahren (s. Goitein V, 127). Schwere Krankheiten, zu denen häufig Seuchen gehörten, waren eine alltägliche Bedrohung des Lebens, vor der man mithilfe einer zumindest in den städtischen Zentren etablierten, auf empirischen Kenntnissen basierenden Medizin Heilung suchte. Daneben aber gab es den Bereich der sogenannten Volksmedizin, der ergänzende Hilfe versprach. Eine klare Trennung von Medizin und Magie ist dabei nicht möglich. Magische Verfahren wurden zu Heilzwecken erlaubt. Im Jerusalemer Talmud, dem in Palästina zwischen dem 3. und 5. Jh. n. Chr. abgefassten religionsgesetzlichen Kompendium, heißt es pragmatisch: „Alles, was Heilung bringt, unterliegt nicht dem Verbot der Amoriterbräuche“ (Traktat Shabbat 6,9). Der Ausdruck „Amoriterbräuche“ bezeichnet hier Handlungen, die unter dem Verdacht stehen, aus der paganen Umwelt in die jüdische Alltagskultur aufgenommen worden zu sein, und somit aus theologischen Erwägungen heraus verboten wurden (vgl. Veltri).
Krankheiten wurden als von Dämonen verursacht angesehen, sie wurden personalisiert. So heißt es im babylonischen Talmud (Traktat Pesachim 111b) über den Dämon Qetev Meriri, der besonders im Sommer die Menschen heimsucht:

Vom giftigen Seuchengespenst. Es gibt zweierlei Seuchengespenster, eines vor Mittag, das andere nach Mittag: das von vor Mittag heißt giftiges Seuchengespenst, es befindet sich in einem Krug mit Mehlbrei und rührt den Löffel um. Das von nach Mittag heißt am Mittag raubendes Seuchengespenst, es befindet sich an den Hörnern einer Ziege, und gleicht einem Sieb und dreht sich ebenso herum.

(Übersetzung Goldschmidt (ed.), Der babylonische Talmud, Bd. 2)

Ein gutes Beispiel für die Rezeption griechischer, lateinischer und arabischer medizinischer Lehren aus dem Bereich der Volksmedizin und für eine damit einhergehende Prägung der Sprache bietet ein Handbuch gynäkologischer magisch-medizinischer Rezepte, deren Terminologie neben genuin hebräisch-aramäischen Begriffen aus einer Vielzahl von griechischen und arabischen medizinischen und pharmazeutischen Wörtern besteht. Der für die Magie bezeugte Synkretismus kann in diesem zwischen Empirie und Aberglaube angesiedelten Bereich der Volksmedizin nachgewiesen werden, so in dem folgenden Rezept für eine leichte Geburt:

(Nimm) einen glänzenden Stein, die Haut einer Schlange, frischen Koriander mit seinen Wurzeln und den Stein zum Schutz (vor einer Fehlgeburt). Hänge alles um ihren rechten Oberschenkel. Sie nehme einen Magnet (griech.) in ihre linke Hand und einen Blutstein (arab.), und sofort wird sie gebären. Erprobt.

(Übersetzung des Geniza-Fragments T.-S. NS 322.10 in MTKG I)

Krankheitsbilder

Die in antiken und mittelalterlichen Quellen vorliegenden Beschreibungen von Krankheiten, im speziellen Fall von Seuchen, sind nur in seltenen Fällen so eindeutig, dass die Erkrankung bestimmt werden kann. Dies betrifft die Pest und die Pocken, Typhus und Cholera. Die erste genaue Beschreibung einer Epidemie, der „Pest von Athen“, findet sich bei Thukydides. Wegen der unklaren Terminologie und der medizinisch ungenauen Symptombeschreibung muss unsicher bleiben, ob es sich um Pest, Typhus, Pocken oder Dengue-Fieber handelte. „Pest“ bezeichnete im Altertum alle Seuchen, die zahlreiche Todesopfer forderten.

Aufgrund mangelnder medizinischer Erkenntnisse wurden die Kategorien Krankheit und Symptom nicht klar getrennt; so wurde Fieber nicht als Krankheitszeichen, sondern in seinen vielfältigen Ausprägungen jeweils als eine eigene Krankheit aufgefasst. Ein schönes Beispiel für die Abwehr von „Fieber-Krankheiten“ bietet die folgende in Aramäisch verfasste Anweisung zum Schreiben eines Amulettes:

Ihr Namen und Mächte, Frösteln und Fieber, [und] alle bösen Worte, verlasst den Körper von N.N., Sohn von N.N. Amen. Amen. Sela.

(Übersetzung des Geniza-Fragments T.-S. NS 153.162 in MTKG II)

Die hier verwendete Terminologie „Fieber und Schüttelfrost“ (aram. ishata we-arwita) ist in Amulettexten und Heilungszaubern bzw. Schadenszaubern sehr häufig belegt, aber doch so unspezifisch, dass eine sichere Zuordnung zu einem bestimmten Krankheitsbild nicht vorgenommen werden kann. Als sicher kann gelten, dass es sich in vielen Fällen um Krankheiten handelt, die unter dem Begriff Seuchen oder auch epidemische Infektionskrankheiten zu fassen sind. Oft wird es sich um Malaria gehandelt haben.

Malaria

Malaria – auch Wechselfieber oder Sumpffieber genannt – gehört zu den seit der Antike im Mittelmeerraum belegten Krankheiten. Die bis heute in südlichen Ländern endemische Krankheit hat im Laufe ihrer Geschichte eine sehr hohe, wenn nicht die insgesamt höchste Zahl an Todesopfern gefordert – mehr als Pest oder Pocken. Die ersten medizinischen Beschreibungen finden sich bei Hippokrates in Epidemien I und III sowie in seinem Traktat Von der Umwelt. Malaria ist die am besten untersuchte Seuche der Antike und Spätantike, weil die Symptome des jeden dritten (Tertiana) oder jeden vierten Tags (Quartana) auftretenden hohen Fiebers und Schüttelfrostes sowie der schmerzhaften Anschwellung von Milz und Leber eindeutig erkannt wurden und außerdem der Zusammenhang von Malaria und stehenden Gewässern in einigen Quellen klar benannt wird. Dennoch kann Malaria leicht mit Typhus oder anderen in Schüben auftretenden Fiebererkrankungen verwechselt werden.

Sowohl im Corpus der griechischen magischen Papyri als auch unter den hebräischen, aramäischen und judaeoarabischen Zaubertexten gibt es zahlreiche Anweisungen und Amulette gegen „Fieber“ in seinen verschiedenen Ausprägungen. Beispiele für die eindeutige Identifizierung eines mit einer Malaria-Infektion einhergehenden Fiebers bietet ein Amulett, das auf den Namen Simon bar Kattia ausgestellt ist:

Ein gutes Amulett um das große Fieber, das dreitägliche Fieber (griech. Lehnwort tritaya von griech. tritaios), das chronische (?) Fieber und das halbe dreitägliche Fieber (chamitritin von griech. hemitritaios) und jeden Geist und jedes Unglück und jedes (böse) Auge und jeden (bösen) Blick zu vertreiben, vom Körper des Simon, Sohn des Kattia, und von allen seinen Gliedern, ihn zu heilen und zu beschützen.

(Edition eines spätantiken Bronzeamulettes aus Galiläa in Naveh/Shaked II)

Dieses für die lexikalische Erweiterung des medizinischen aramäischen Wortschatzes wichtige Beispiel verwendet die griechische Terminologie für das dreitägliche (Tertiana) und das tägliche (Quotidiana) Fieber. Hinter der Quotidiana verbirgt sich vermutlich eine doppelte Malariainfektion, deren täglicher Fieberschub auf die unterschiedlichen Reproduktionszyklen der Parasiten zurückgeht. Ganz ähnlich lautet die folgende Anweisung aus einem magischen Handbuch zum Schicken von Fieber, um jemandem zu schaden. Hier wird für die Quotidiana ein eigener aramäisch-griechischer Ausdruck geprägt:

Und Gavriel, der die Kraft des Fiebers (aram. ishata), des Fieberschauers (aram. arwita) und des dreitäglichen Fiebers (griech. Lehnwort tritaya von griech. tritaios) hat, (komme) auf N.N.,
‘W (Zaubername) und ein halbes dreitägliches Fieber (aram.-griech. Ausdruck palgut tritaya) mit dem Namen dieser Zeichen:‘ B G D (Zaubername).

(Übersetzung von Geniza-Fragment T.-S. K 1.56 in MTKG I – siehe Titelfoto)

Den beiden hebräisch-aramäischen magischen Texten ist ein Schutzzauber gegen Malaria aus einem griechischen Papyrus des 3./4. Jh. n. Chr. ähnlich, in dem es nach der Nennung von zahlreichen wirkmächtigen Zaubernamen heißt:

Schütze Touthous, den Sara geboren hat, vor jedem Schüttelfrost und Fieber: dreitäglichem, viertäglichem, täglich wechselndem, täglichem, oder an jedem zweiten Tag (auftretendem Fieber). Eloai Engel Adonias Adonaei, schütze…

(Edition und engl. Übers. in Daniel, Maltomini (ed), Supplementum Magicum I)


Griechisches Amulett gegen Fieber aus Ägypten (3./4. Jh. n. Chr.), Papyrus Berolinensis 21165, Ägyptisches Museum und Papyrussammlung. Staatliche Museen Preußischer Kulturbesitz Berlin

Neuerdings wird versucht, die Genese der verschiedenen Malariaerkrankungen (cf. Rosen, in: Ramat Hanadiv Excavations, 2000; Burke, in: ANRW II.37.3, 1996) zu rekonstruieren und in einen Zusammenhang mit sozialgeschichtlichen Entwicklungen zu bringen. Die gemeinhin postulierte Virulenz und Ausbreitung der häufig tödlich verlaufenden Malaria-Varianten in der Zeit des Niedergangs des römischen Reichs und im frühen Byzanz fällt mit der Blütezeit spätantiker und frühmittelalterlicher Magie zusammen, in der Heilzauber „gegen Fieber und Schüttelfrost“ stark verbreitet waren. Es scheint sehr wahrscheinlich, dass ein enger Konnex zwischen der Ausbreitung der Malaria und der Zunahme volksmedizinischer und magischer Heil- und Schutzmittel, wie sie durch die Literatur belegt und durch die Archäologie zutage gefördert wurden, besteht. Eine Erkenntnis, die für die Aufdeckung des Sitzes im Leben medizinisch-magischer Praktiken von großer Bedeutung ist.


Literaturverzeichnis:

Editionen:

1. Amulets and Magic Bowls. Aramaic Incantations of Late Antiquity, hg. v. Joseph Naveh, Shaul Shaked, Jerusalem (Magnes Press) 21987; Magic Spells and Formulae. Aramaic Incantations of Late Antiquity, hg. v. Joseph Naveh, Shaul Shaked, Jerusalem (Magnes Press) 1993.

2. Magische Texte aus der Kairoer Geniza, in Zusammenarbeit mit M. Jacobs, R. Leicht, B. Rebiger, C. Rohrbacher-Sticker, G. Veltri, I. Wandrey hg. v. Peter Schäfer, Shaul Shaked, Bde. I-III, Tübingen (Mohr-Siebeck) 1994–1999 (= Texte und Studien zum Antiken Judentum 42, 64, 72), Bd. IV in Vorbereitung (= MTKG I-IV).

3. Papyri Graecae Magicae, hg. v. K. Preisendanz, A. Henrichs, 2 Bde., Stuttgart (Teubner) 1973–74.

Literatur:

4. Shelomo Dov Goitein, A Mediterranean Society. The Jewish Communities of the Arab World as Portrayed in the Cairo Geniza, 5 Bde., Berkeley/Los Angeles (University of California Press) 1967–88.

5. Haskell D. Isaacs, C. F. Baker, Medical and Para-Medical Manuscripts in the Cambridge Genizah Collections, Cambridge (Cambridge University Press) 1994.

6. Julius Preuss, Biblisch-Talmudische Medizin. Beiträge zur Geschichte der Heilkunde und der Kräuter, Berlin 1911 (Nachdr. Wiesbaden [Fourier] 1992).

7. Stefan C. Reif, A Jewish Archive from Old Cairo, Richmond, Surrey (Curzon Press) 2000.

8. Giuseppe Veltri, Magie und Halakha. Ansätze zu einem empirischen Wissenschaftsbegriff im spätantiken und frühmittelalterlichen Judentum, Tübingen (Mohr-Siebeck) 1997
(= Texte und Studien zum Antiken Judentum 62).